Balkongärtnern extrem: Auf insgesamt neun Quadratmetern wachsen 120 Pflanzen, Sträucher und sogar Obstbäume. Birgit Schattling aus Berlin nutzt auf ihren Balkonen und fünf Fensterbrettern jeden Zentimeter zum Gärtnern und bietet auch noch Tieren Platz. Eichhörnchen haben bei ihr genistet, Insekten tummeln sich dort, 24 Vogelarten hat sie eigenen Worten zufolge schon zu Besuch gehabt: „Ich bin mitten in Berlin und erlebe die Natur hautnah. Das ist das Spannendste daran“, sagt die 58-Jährige. Mit ihrer Leidenschaft steckt sie auch andere an. Regelmäßig organisiert sie auf www.bio-balkon.de Online-Kongresse zum Gärtnern auf kleinem Raum, ist Buchautorin und in den sozialen Medien aktiv.
Fläche mit Vertikalbeeten optimiert
Die Nachbarhäuser sieht Birgit Schattling nicht mehr, wenn sie auf ihrem Südbalkon in Wilmersdorf sitzt. Stattdessen blickt sie auf Rote und Schwarze Johannisbeeren, Holunder, Goji-Beere, eine Rambler-Rose, Stauden wie Wasserdost, Echtes Herzgespann oder auch Glockenblumen. „Ich komme aus einem Gärtner-Haushalt in Kleinmachnow, ich bin mit Selbstversorgung aufgewachsen“, erzählt die Balkonexpertin.
Große Erträge liefert die Balkongärtnerei allerdings nicht: Ihr Südbalkon ist eher ein Naschgarten, denn dort wohnen Eichhörnchen und verbuddeln gern auch Nüsse. Auf ihrem zweiten Balkon, der nur 60 Zentimeter schmal, dafür aber sehr lang ist, hat Schattling die Nutzfläche mit drei Vertikalbeeten optimiert. In sieben Kästen wachsen dort an den Wänden Salate, Löwenzahn, Erdbeeren und vieles mehr übereinander und nebeneinander. Gegenüber gedeiht das Grün in Töpfen und Kästen.
Einen Kleingarten, in dem sie deutlich mehr Anbaufläche hätte, will sie gar nicht: „Ich bin höchst zufrieden mit meinem Balkon. Ich habe keinen Fahrtweg und keinen Laufweg und gucke ständig in Augenhöhe auf das Leben, ich sehe Vögel, Eichhörnchen, Wildbienen“, sagt Schattling.
Ihr gehe es darum, mit der Natur zu gärtnern und ein Ökosystem zustande zu bringen, auch wenn es ein kleines ist. „Beim Biogärtnern gehört es dazu, dass der Boden gemulcht ist, trockene Blätter, trockener Rasenabschnitt draufliegt, damit weniger Wasser verdunstet und das Bodenleben in den Töpfen geschützt ist“, betont sie. Wichtig sei auch, dass nicht alles aufgeräumt sei. „Es ist für viele schwierig, das zu ertragen, weil man etwa weiße Fliesen hat, weil man alles picobello hat. Aber in der Natur ist nicht alles picobello“, so die Balkongärtnerin.

Berliner Balkonfläche insgesamt größer als Tempelhofer Feld
Sie hat sich inzwischen einen Namen gemacht. „Birgit Schattling ist ein Balkon-Ultra“, beschreibt Stadtgrün-Referentin Janna Einöder vom Berliner Naturschutzbund (Nabu) die Balkongärtnerin. Aus ihrer Sicht sind Balkone wie die von Birgit Schattling ökologisch wertvoll. „Doch nicht jeder muss eine Birgit Schattling sein“, sagt Einöder. Man könne das Balkongärtnern auch im kleineren Maßstab betreiben, zum Beispiel mit Küchenkräutern. „Wenn viele kleine Flächen genutzt werden, ergibt das ein Mosaik in der ganzen Stadt“, sagt die Expertin. Und das komme zahlreichen Arten zugute, zum Beispiel Wildbienen, die einen Flugradius von nur wenigen Hundert Metern haben.
Das Potenzial sei aus Naturschutzsicht noch längst nicht ausgenutzt. „Berlin hat etwa 1,6 Millionen Wohnungen mit einer Balkonfläche, die größer ist als das Tempelhofer Feld“, so die Expertin. Viele Balkone würden leider mit Pflanzen wie Petunien oder Geranien begrünt, die für Insekten nicht nützlich und oft auch noch mit Pestiziden belastet seien. Mehrjährige Stauden oder auch Wildblumen seien viel geeigneter, erklärt Einöder. Der Nabu hat Pflanzlisten veröffentlicht. Passend zur jeweiligen Ausrichtung eines Balkons werden passende Arten empfohlen.
Riesige Nachfrage nach bepflanzten Balkonen in Berlin
Die Nachfrage nach einem schön gestalteten Balkon sei in Berlin riesig und könne durch die Anbieter kaum bedient werden, sagt der Berliner Balkon- und Dachterrassengestalter Tobias Peterson. „In einer stark verdichteten Stadt wie Berlin ist die Sehnsucht nach Natur groß. Das erlebe ich täglich bei meiner Arbeit“, erklärt der Gärtner und Buchautor. Er könne sich mittlerweile die Rosinen herauspicken und meint damit unter anderem besonders anspruchsvolle Lagen oder auch Kunden. „Manche wollen einen südländischen Balkon, haben aber eine hundertprozentige Schattenlage“, so Peterson.
Seit 20 Jahren gestaltet und pflegt Peterson Balkone und Terrassen. Neben dem Klima habe sich in der Zeit auch das Bewusstsein geändert: „Viele achten inzwischen darauf, dass die Balkone insektenfreundlich gestaltet sind.“