„Lasst das nicht zu!“

Der Architekt des DDR-Baus SEZ kämpft verzweifelt um sein Lebenswerk

Kurz vor Weihnachten fordert der SEZ-Architekt Günter Reiß den Senat auf, den Abriss des DDR-Spaßbades zu stoppen.

Author - Norbert Koch-Klaucke
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Der Architekt Günter Reiss vor dem einstigen DDR-Spaßbad SEZ, das er erbauter.
Der Architekt Günter Reiss vor dem einstigen DDR-Spaßbad SEZ, das er erbauter.Emmanuele Contini/Berliner KURIER

Man könnte ihn eine Weihnachtsbotschaft nennen. Der Wutbrief, der unter anderem an den Berliner Senat gerichtet ist. „Lasst das nicht zu!“, steht in der Weihnachtsbotschaft. Gemeint ist der Abriss des Sport- und Erholungszentrums (SEZ). Der Unterzeichner des Briefes ist Günter Reiß (84), der Architekt des einstigen DDR-Spaßbades.

Seit Tagen wüten wieder die Bagger am SEZ. „Vorbereitende Maßnahmen für den Abriss“ nennt der Senat die Abbrucharbeiten, die Günter Reiß das Herz bluten lassen. Von 1977 bis 1981 leitete er den Bau des Sport- und Erholungszentrums an der Landsberger Allee in Berlin-Friedrichshain.

Architekt Günter Reiss zeigt Skizzen und Originalpläne vom SEZ.
Architekt Günter Reiss zeigt Skizzen und Originalpläne vom SEZ.Emmanuele Contini/Berliner KURIER

In seinem offenen Brief an den Senat und auch an die Berliner zieht Reiß einen Vergleich. Darüber, wie die italienische Metropole Rom mit ihrem baulichen Erbe umgeht, einem historischen Bäderbau – und wie es die Verantwortlichen in der deutschen Hauptstadt mit dem SEZ machen.

SEZ-Architekt: In Rom erhält man historische Bäder, in Berlin reißt man sie ab

„Als ich kürzlich in Rom war, konnte ich dort im Sportforum zahlreiche Handwerker auf großen Gerüsten beobachten, die an der imposanten Ruine der 1.800 Jahre alten Caracalla Thermen Restaurierungsarbeiten ausführten, um dieses Bauwerk zu erhalten“, beginnt Reiß seinen Brief.

Im Jahr 235 wurde das Bauwerk durch den römischen Kaiser Severus Alexander vollendet. „Diese Anlage war noch im 5. Jahrhundert betriebsbereit und konnte durch die Bürger Roms immer noch eintrittsfrei genutzt werden“, schreibt Reiß.

Die Caracalla-Thermen in Rom
Die Caracalla-Thermen in RomJöran Steinsiek/imago

Eine Badeanstalt fürs Volk. „Neben einigen Schwimmbecken und Gärten beherbergten die Thermen Gymnastik- und Versammlungsräume, Bibliotheken und diverse Dienstleistungsbetriebe wie Friseurgeschäfte“, so Reiß. „Täglich konnten die Thermen ca. 2.000 Gäste aufnehmen.“

1800 Jahre später versucht die Stadt Rom diese Bäder-Anlage weiter zu erhalten, auch wenn sie längst kein mehr nutzt. Es geht um die Erhaltung eines Zeugnisses der Stadtgeschichte.

Architekt: „Wut und Trauer über das Schicksal des SEZ in Berlin“

Reiß schreibt daher: „Meine Bewunderung über die Römer führte zur Trauer und Wut über das Schicksal des SEZ in Berlin! Durch die gegenwärtig Verantwortlichen soll es abgerissen werden.“

Der Architekt erinnert daran, dass das SEZ „täglich für bis zu 15.000 Besuchern ein Ort des Erlebnisses und der Freude“ war. „Der Abriss ist in diesem historischen Vergleich ein sinnloser, gegen die Bevölkerung gerichteter Frevel!“

Reiß schließt seine Botschaft mit dem Appell: „Senat, Mitbürger, Gäste und Stadtöffentlichkeit sind aufgerufen: Lasst das nicht zu!“

DDR-Bau SEZ ist Zeugnis deutsch-deutscher Geschichte

Das DDR-Spaßbad ist nicht nur wegen der einmaligen Architektur historisch. Seine Entstehung ist es vor allem, die deutsch-deutsche Geschichte schrieb.

Erst seit einem Jahr ist bekannt, dass das SEZ eigentlich ein Westbau ist. Zu DDR-Zeiten hatte man zwar immer die Kooperation mit skandinavischen Unternehmen erwähnt. Aber in Wahrheit lagen der Entwurf, die Planung und die Erbauung des SEZ in Verantwortung des Essener Baukonzerns Hochtief.

Verantwortlich für das ganze Projekt bei Hochtief war Günter Reiß – ein vielversprechender Nachwuchsarchitekt, der erst kurz davor aus der DDR nach Westberlin geflohen war. Ein Grund, warum man in der DDR nie erfuhr, wer wirklich das SEZ erbaute.

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