Berlin feiert sich ja gerne als Start-up-Hauptstadt. Und Start-up steht auch für Digitalisierung. Nur in der Berliner Verwaltung scheint Digitalisierung bis heute so etwas wie ein Fremdwort zu sein. Die Einführung der Digitalen Akte kommt in den Behörden der Hauptstadt mit mehrjähriger Verspätung nur schleppend voran. Neueste Hiobsbotschaft: Berlins Bezirksparlamenten droht in wenigen Monaten das komplette digitale Aus – weil ein Software-Update fehlt.
Alle zwölf Berliner Bezirksverordnetenversammlungen arbeiten mit der Software „Allgemeines Ratsinformationssystem“ – kurz Allris3. Verwaltungsprozesse werden mit dem Computerprogramm vollständig digitalisiert, Sitzungsunterlagen in digitaler Form bereitgestellt, Zahlungen für die Verordneten berechnet.
Doch das Programm ist total veraltet, wenn kein Update angeschafft wird, geht Ende des Jahres nichts mehr, droht die Abschaltung des Systems. „Dann gehen wir zurück in die 90er-Jahre“, sagte jetzt Jelisaweta Kamm (Grüne), Vorsteherin der BVV Mitte und Vorsitzende im Rat der Vorsteher, dem Tagesspiegel. „Wir wären gezwungen, wieder mit Zettel und Stift zu arbeiten.“
In Berlin: Keiner kümmerte sich um das Update
Update klingt ja immer noch brandneuer Software. Ist es in dem Fall aber nicht. Das „neue“ Update ist seit Jahren auf dem Markt, wird in anderen Städten schon lange eingesetzt. Doch in Berlin hat sich bisher keiner drum gekümmert. Die Zuständigkeit ist ungeklärt, man weiß nicht mal, welche Allris-Komponenten von welchen Bezirken wie genutzt werden, berichtet der Tagesspiegel. Das Programm verstoße außerdem seit Jahren gegen die im Land geltenden Mindeststandards für von Behörden genutzte Software.
Das Dilemma: Die Geschäftsstelle zur Koordinierung und Beratung bezirklicher IT-Verfahren wurde 2009 aufgelöst, seitdem kümmert sich anscheinend niemand um die offenen Fragen. Erst Ende November musste eine Taskforce von Mitarbeitern aus der Senatskanzlei, Innenverwaltung, Bezirken und IT-Dienstleister eingesetzt werden. Und die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam. Jetzt muss erstmal eine Voruntersuchung beauftragt werden.
Hinzu kommt das Geldproblem. Mehr als 70.000 Euro pro Bezirk würde das Update kosten. Geld, das auch wegen des Senats-Sparkurses nicht vorhanden überhaupt ist. Finde Berlin keine Lösung, belege das „die fehlende Wertschätzung für die 660 ehrenamtlich arbeitenden Bezirksverordneten aller Parteien“, so Karsten Franck, AfD-Fraktionsvorsitzender in der BVV Tempelhof-Schöneberg und Mitglied im Unterausschuss Bezirke, gegenüber dem Tagesspiegel.
Nicht das einzige Digital-Problem in den Berliner Behörden. Auch die Einführung der E-Akte in Berlin weiter nur stockend voran. Derzeit sind 30 Behörden an die Digitale Akte angeschlossen und 10.000 Zugänge eingerichtet, wie die Senatskanzlei auf dpa-Anfrage mitteilte. Aber nur rund 3000 Beschäftigte arbeiten demnach regelmäßig gleichzeitig in der Digitalen Akte.
Immerhin: Im Vergleich zum Januar 2024 ist das ein deutlicher Schritt nach vorn. Damals lag die Zahl erst bei 1000. Von der Ziellinie ist die Berliner Verwaltung allerdings noch meilenweit entfernt: Bei der Vorstellung des Projekts hatte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) im Juni 2022 angekündigt, die neue Digitale Akte solle nach der berlinweiten Einführung für etwa 70.000 PC-Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.
Digitale Akte: 1,8 Mio. Euro für Beratungsfirma
Doch zwischenzeitlich war nicht einmal klar, ob der zunächst beauftragte Vertragspartner das Projekt weiterführen könnte und sollte. Verantwortlich für die Einführung ist inzwischen die Staatssekretärin für Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung, Martina Klement, die auch Chief Digital Officer (CDO) des Senats ist und die Digitalisierung der Verwaltung managen soll.
Zum Zeitpunkt des Regierungswechsels im Frühjahr 2023 sei das Projekt Digitale Akte „in einem sehr herausfordernden Zustand gewesen“, wie die Senatskanzlei es formuliert – und daraufhin auf den Prüfstand gestellt worden. Am Ende fiel die Entscheidung, den Stecker nicht zu ziehen. „Auch weil ein Abbruch die Digitalisierung der Berliner Verwaltung um Jahre zurückgeworfen hätte.“

Eine Neuausschreibung hätte voraussichtlich nicht nur viel Zeit, sondern auch viel Geld gekostet. Stattdessen hat die Senatskanzlei Unterstützung beim Einführungsprozess geholt. Seit Januar 2024 ist dafür das auf Verwaltung spezialisierte Beratungsunternehmen PD im Einsatz – auch nicht ganz umsonst: „Mit PD sind bisher Verträge in Höhe von 1,8 Millionen Euro abgeschlossen worden. Weitere Beauftragungen bis Jahresende sind geplant“, heißt es von der Senatskanzlei.
Inzwischen arbeiten den Angaben zufolge in mehreren Behörden bereits sämtliche Beschäftigten mit der Digitalen Akte – etwa im Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, bei der Innenverwaltung und der Senatsverwaltung für Mobilität und Verkehr inklusive dem Pflanzenschutz- und dem Fischereiamt. Hohe Nutzerzahlen gebe es auch in der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales, im Bezirksamt Reinickendorf und im Bezirksamt Mitte sowie in der Senatskanzlei selbst. ■