Friedrich-Bergius Schule

Chaos-Schule in Friedenau: Schüler und Ex-Direktor sprechen Klartext

Michael Rudolph machte aus der Schule einst eine Vorzeigeschule. Heute ist sie wieder da, wo sie herkam. Im Sumpf aus Gewalt und Schulabsenz. Was läuft da so fürchterlich schief?

Author - Stefanie Hildebrandt
Teilen
Michael Rudolph war bis 2021 Schuldirektor an der Friedrich-Bergius-Schule.
Michael Rudolph war bis 2021 Schuldirektor an der Friedrich-Bergius-Schule.Anikka Bauer

Nach dem Brandbrief der Lehrer an der Friedenauer Friedrich-Bergius-Schule ist das Entsetzen groß. Gewalt auf dem Schulhof, Lehrer und Mitschüler, die in Angst zur Schule gehen, krasse Fehlzeiten. Was also tun, um an der einst beliebten Friedrich-Bergius-Schule das Ruder wieder herumzureißen?

Unter Michael Rudolph, der die Schule bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2021 leitete, wurden Regeln offenbar besser befolgt, die Friedrich-Bergius Schule galt als beliebt. Nun meldet sich der ehemalige Schulleiter wieder zu Wort und empfiehlt das Durchsetzen klarer Regeln und viele Gespräche.

Was tun gegen Verspätungen?

So habe es früher gegen die ständigen Verspätungen zahlreicher Schüler konkrete Maßnahme gegeben, sagte Michael Rudolph, der die Friedrich-Bergius-Schule in Berlin-Friedenau bis vor einigen Jahren lange leitete, im RBB-Inforadio. Die verspäteten Schüler hätten in der ersten Stunde eine gemeinnützige Arbeit machen müssen, also etwa im Herbst die Blätter auf dem Schulhof zusammenfegen.

„Es kamen damals 40, 50 Schüler von diesen 350 Schülern zu spät, ganz ohne Schuldbewusstsein, einfach so. Das hat natürlich unheimlich den Unterrichtsbetrieb gestört“, sagte Rudolph. Verspätete Schüler seien nur nach Klingeln eingelassen und registriert worden. Dann habe zunächst die gemeinnützige Arbeit statt des Unterrichts angestanden. Die Verspätungen seien schnell zurückgegangen. Jeder Schüler habe gemerkt: „Da passiert jetzt irgendwas, da werden Grenzen gesetzt. Und dann wurde es leichter, auch andere Grenzen zu setzen.“

Die Friedrich-Bergius-Schule im Stadtteil Friedenau im Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Mit einem Alarmbrief über höchst schwierige Zustände an ihrer Schule und fehlende Unterstützung vom Senat haben Berliner Lehrer um Hilfe gerufen.
Die Friedrich-Bergius-Schule im Stadtteil Friedenau im Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Mit einem Alarmbrief über höchst schwierige Zustände an ihrer Schule und fehlende Unterstützung vom Senat haben Berliner Lehrer um Hilfe gerufen.Leonie Asendorpf/dpa

Auch heute gibt es wieder viele Fehlzeiten unter den Schülern. Im Tagesspiegel berichten die Schüler zwar von Arbeiten auf dem Hof als Sanktionsmaßnahme oder dem Einzug von Handys als Erziehungsmaßnahme. Doch scheinbar fruchten diese Ansätze, die früher die Wende brachten, nur noch bedingt bei den Schülern. Die drastischen Schilderungen ihrer Lehrer bestätigen diese gegenüber der Zeitung. „Jede Woche“ gebe es Schlägereien, sagt ein Junge aus der 9. Klasse. „Die ganze Schule steht dann im großen Kreis drumherum und guckt zu.“ „Die Lehrer haben uns und die gesamte Situation überhaupt nicht im Griff“, so eine Schülerin.

Lange Gespräche mit Problemschülern

Der ehemalige Rektor indes setzte zu seiner Zeit auch auf lange Gespräche mit Schülern. Er habe sie selber sprechen lassen: „Was ist los, was hast Du gemacht, was ist das Problem? (...) Dann hat der hinterher was darüber aufgeschrieben: Ich habe heute das und das falsch gemacht, ich will aber später Fußballer werden und dann geht das nicht“, sagte Rudolph. „Die Schüler wussten, dass sie etwas falsch gemacht haben und sie haben sich auch durchaus bemüht, das wieder richtigzumachen. Das ist ja nicht so, dass Schüler alle die Regeln brechen wollen.“ Ob eine Schule funktioniere, entscheide sich vor Ort. Die Verantwortlichen müssten einen Weg finden, die Schulaufsicht könne das nur begleiten.

Lesen, schreiben, rechnen und Sozialverhalten sind Grundlagen

„Wenn ein Schüler lesen, schreiben und rechnen kann und ein vernünftiges Sozialverhalten hat, wird sie oder er im Leben klarkommen“, so Michael Rudolph damals über sein Konzept, mit dem er die Schule auf Erfolgskurs brachte. „Auf diese Dinge legen wir einen Schwerpunkt.“ Bei Gewalt oder Mobbing werde sofort eingeschritten.

Heute bitten die Lehrer der Schule in ihrem Alarmbrief an die Schulaufsicht um Hilfe und personelle Unterstützung.  Aggressive und bildungsferne Schüler bedrohten Lehrer und mobbten sich gegenseitig.

„Eine Schule mit einer relativ schwierigen Kundschaft, was ja aus diesem Brief hervorgeht, muss besser ausgestattet werden“, findet auch Gesamtelternvertreter Andreas Thewalt, der sich gegenüber B.Z. geäußert hat.  Die Schulleitung sei „außerordentlich kompetent und engagiert“. Auch gebe es viele „wirklich gute“ Lehrer. Doch bei den Schülern, von denen viele kaum Deutsch sprechen würden, bräuchte es eine „besondere Förderung“ – zum Beispiel zwei Lehrer, die in einer Klasse unterrichteten. Doch dafür ist nicht genug Personal verfügbar.

Schwänzen ein besonders großes Problem

Einen guten Zugang zu Schülern bekommt man aber nur, wenn diese auch anwesend sind. In der Bergius-Schule aber fehlten schon in den ersten zwei Monaten nach den Sommerferien in diesem Jahr Schüler 489 Tage unentschuldigt. In jeder der 17 Klassen kommt es zum Schulschwänzen stunden- oder tageweise, berichtet die B.Z. Allein in einer neunten Klasse habe es 112 unentschuldigte Fehltage und 287 Fehlstunden gegeben.

Klientel mit besonderem Hilfebedarf

Dass es die Schüler in der Bergius-Schule im Alltag und im Elternhaus nicht leicht haben, belegen die Erläuterungen des Elternsprechers Andreas Thewalt (68): „In den meisten Klassen haben 80 Prozent der Schüler oder mehr eine andere Muttersprache als Deutsch, in einer 10. Klasse sind es 100 Prozent. Die Eltern seien oft völlig überfordert, stellen die Lehrer fest. Mehrere jugendliche Mädchen aus osteuropäischen Ländern hätten noch nie eine Schule besucht.

Es gebe eine ganze Reihe kinderreicher Familien – „mit bis zu elf Geschwistern, die auf sehr engem Raum leben“. Eine siebenköpfige Familie lebe in einer 1,5 Zimmer-Kellerwohnung. „Es gibt Mütter oder Väter, die im Gefängnis sitzen, während Familienhelfer die tägliche Erziehung der Kinder übernehmen.“

Gewalt und Probleme auch schon 2005 an der Bergius-Schule

Diese Probleme sind an der Friedrich-Bergius-Schule nicht neu: Schon 2005 hatte es wegen Gewaltvorfällen Probleme gegeben. Schüler schlugen sich etwa vor aller Augen am Tag der offenen Tür blutig. Die Schule hatte in der ganzen Stadt einen miesen Ruf. Die Anmeldezahlen gingen damals auf 38 zurück. Die Schule sollte geschlossen werden.

Dann übernahm der erfahrene Direktor Michael Rudolph 2005 die Leitung, und führte die Schule mit konsequenter Härte. Ihm gelang es, die in ihrem Bestand einst bedrohte Sekundarschule ohne gymnasiale Oberstufe zu einer beliebten Schule zu machen. Bergius-Schüler hatten plötzlich eine ungewöhnlich hohe Zahl mit Gymnasialempfehlungen. Sogar schwedische Journalisten suchten vor Ort nach dem Erfolgsgeheimnis der Schule. Zehn Jahre in Folge hatte die Schule mehr Anmeldungen als Plätze.

Bei der Schulinspektion fiel Rudolph damals mit seinem Konzept allerdings durch.  Zu wenig „Individualisierung von Lernprozessen“, man schöpfe die „Potenziale der Schülerinnen und Schüler nicht aus“, vernachlässige die „Kompetenzorientierung“ zu viel Frontalunterricht.  Dass aber genau diese Mischung aus Strenge und Konzentration auf Wesentliches an dieser Schule mit dieser Klientel den Erfolg ausmachten, passte nicht ins Konzept der Schulaufseher. Nach Kritik von Experten stand die Berliner Schulinspektion am Ende selbst am Pranger. Wie effektiv arbeitet sie, wie viel bringt sie der Berliner Schullandschaft tatsächlich?

Erfolgreicher Schuldirektor musste in den Ruhestand gehen

Dennoch: 2019 schließlich musste Michael Rudolph gehen, obwohl der Rektor gern noch ein Jahr länger an der Schule geblieben wäre, auch um den Übergang mit einem Nachfolger besser zu bewerkstelligen. „Ich hatte im Interesse der Kollegen und der Schüler angeboten, über mein 65. Lebensjahr noch ein Jahr meines Lebens hinaus weiterzuarbeiten“, sagte Rudolph damals auf Anfrage der Berliner Morgenpost. „Doch offenbar will man mich nicht mehr haben.“

Die Friedrich-Bergius-Schule scheint nun wieder da, wo sie schon einmal war. Auch jetzt ist der Ruf der Schule ruiniert. Im letzten Jahr gab es nur 56 Erstwünsche, 100 Plätze wären zu vergeben. Aufgefüllt wird dann mit Schülern, die auch anderswo keinen Platz erhalten haben.

Gemeinsam mit der Journalistin Susanne Leinemann hat Michael Rudolph das Buch „Wahnsinn Schule – Was sich dringend ändern muss“ geschrieben. Es erschien bei Rowohlt Berlin (256 S., 22 Euro).