Die große Grundsteuer-Wut

Chaos in Berlins Verwaltung: Bis heute fehlen 150.000 Grundsteuerbescheide

Der Eigentümerverband Haus und Grund rät Betroffenen, zu Jahresbeginn erst mal überhaupt kein Geld mehr ans Finanzamt zu überweisen.

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Die Berliner Finanzämter kommen mit dem Versenden der neuen Grundsteuerbescheide nicht nach: 150.000 Berliner warten von auf Post.
Die Berliner Finanzämter kommen mit dem Versenden der neuen Grundsteuerbescheide nicht nach: 150.000 Berliner warten von auf Post.Sabine Gudath

Berlin bekommt es einfach nicht auf die Reihe: Bis Ende dieses Jahres sollten alle neuen Grundsteuerbescheide verschickt worden sein. Doch in der Hauptstadt mahlen die Mühlen der Bürokratie bekanntlich langsam. Sehr langsam. Rund 150.000 Berliner warten immer noch auf ihre neuen Grundsteuerbescheide. Der Eigentümerverband Haus und Grund rät deshalb allen Betroffenen ohne Brief vom Finanzamt, erst mal gar nichts mehr zu zahlen.

Man weiß gar nicht, wer besser dran ist. Diejenigen, die noch auf ihre Grundsteuerbescheide warten, oder diejenigen, die schon Post vom Finanzamt bekommen haben – mit teils immensen Gebührenerhöhungen, die vielen Berlinern, vor allem im Osten der Stadt, das Weihnachtsfest verhagelt haben.

Grundsteuer: Zum 15. Februar wird die neue Rate fällig

Beim Start im Oktober hieß es noch, dass alle Bescheide bis Ende des Jahres verschickt werden sollen. Doch das hat, wie befürchtet, nicht geklappt. Zehntausende Besitzer von Eigenheimen, Eigentumswohnungen und Wochenendgrundstücken in Berlin warten immer noch – auf die Mitteilung, wie viel Grundsteuer sie künftig zahlen müssen. Der Versand der Bescheide sei Mitte Oktober gestartet und müsse noch bis in den Januar hinein fortgesetzt werden, erklärt jetzt eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Finanzen.

Bislang wurden rund 750.000 Bescheide verschickt – rund 150.000 stehen aber noch aus. „Insgesamt müssen circa 900.000 Bescheide für den gesamten Berliner Grundstücksbestand ergehen“, erklärt die Finanzverwaltung. In rund 1000 Fällen wurde bereits Einspruch gegen die Grundsteuerbescheide eingelegt. Böse für die Betroffenen, die immer noch auf ihren Bescheid warten: Die erste Quartalszahlung im neuen Jahr wird spätestens zum 15. Februar fällig.

Den Immobilienbesitzern, die ihren Bescheid noch nicht bekommen haben, rät der Eigentümerverband Haus und Grund, zu Jahresbeginn erst mal überhaupt kein Geld mehr zu überweisen. Die alte Grundsteuer sei verfassungswidrig und müsse ab Januar nicht mehr gezahlt werden, erklärte Verbandschef Kai Warnecke in einem Interview. „Wer noch keinen neuen Grundsteuerbescheid hat, muss daher vorerst keine Grundsteuer zahlen.“ Nur so könne Streit über mögliche Rückzahlungen vermieden werden.

Die Steuer wird bundesweit auf Anordnung des Bundesverfassungsgerichts reformiert. Ab 2025 gelten neue, einheitlichere Berechnungsgrundlagen, bei denen der aktuelle Wert von Immobilien und Grundstücken stärker als zuvor berücksichtigt wird. „Die in Berlin bislang unterschiedlichen Bewertungsverfahren und lang zurückliegenden Wertverhältnisse von 1935 (Ost) bzw. 1964 (West) gewährten keine Gleichbehandlung“, erklärt die Sprecherin der Finanzverwaltung. „So konnten in der Vergangenheit für vergleichbare Immobilien erheblich unterschiedliche Grundsteuerzahlungen bestehen.“ Das soll sich durch die Neuberechnung ändern.

Vor ihrem Wochenendhäuschen: Die Rentner Kristina (81) und Achim Girke (83) mit dem Grundsteuerbescheid. Sie müssen künftig 956 Euro statt 80 Euro im Jahr zahlen.
Vor ihrem Wochenendhäuschen: Die Rentner Kristina (81) und Achim Girke (83) mit dem Grundsteuerbescheid. Sie müssen künftig 956 Euro statt 80 Euro im Jahr zahlen.Stefan Henseke

In den vergangenen Wochen berichtete der KURIER mehrmals über die neuen Grundsteuerbescheide. Viele Leser schrieben uns wütend und fassungslos, dass sie auf einmal ein Vielfaches der bisherigen Grundsteuer zahlen müssten. Besonders betroffen: Die Besitzer von Wochenendgrundstücken, die auf einmal das bis zu 20-Fache zahlen müssen. Aber auch von vielen Eigenheimbesitzern, vor allem im Osten der Stadt, in Biesdorf, Kaulsdorf oder Mahlsdorf, fordert das Finanzamt plötzlich ein Vielfaches der bisherigen Grundsteuer.

Die Finanzverwaltung versucht abzuwiegeln: „Die Aktualisierung der Werte führt dazu, dass ein Teil der Eigentümerinnen und Eigentümer zukünftig mehr, andere weniger Grundsteuer bezahlen“, heißt es. Angeblich solle die Umstellung der Grundsteuer für das Land Berlin einkommensneutral verlaufen – viele Berliner glauben aber nicht mehr an das Versprechen des Senats. „Ich finde, das ist Wucher“, schreibt uns Astrid S. aus Marzahn. Und KURIER-Leserin Wanda B. aus Köpenick befürchtet wegen der explodierenden Grundsteuern bei Wochenendgrundstücken, dass viele Rentner ihre Oasen verkaufen müssen. „Mehr staatlich gewollte Enteignung geht eigentlich nicht.“

Senat weiß nicht, wie viel Berliner mehr zahlen müssen

Doch wie sieht es im Detail aus? Wie viele Berliner müssen mehr als früher zahlen – und wie viele weniger? Doch bisher gibt die Finanzverwaltung keine Antwort auf diese Fragen. „Das Feststellungsverfahren zu den Grundsteuerwerten und der Versand der Messbetrags- und Steuerbescheide sind noch nicht abgeschlossen. Aus diesem Grund können derzeit noch keine detaillierten statistischen Auswertungen vorgenommen werden und verlässliche Ergebnisse produziert werden“, heißt es nur in einer Antwort auf eine Anfrage der AfD-Abgeordneten Kristin Brinker.

„Grundsätzlich sind die Berliner Finanzämter gehalten, Fälle, die Fragen aufwerfen oder Fälle, bei denen es sich um mutmaßliche rechnerische Fehler handelt, genau zu prüfen“, heißt es aus der Finanzverwaltung. Bisher lägen den Angaben zufolge aber noch keine Daten zu Fällen mit erheblichen Belastungssteigerungen vor. KURIER-Leser berichten aber von Fällen, in denen Einsprüche mit Verweis auf die gültige Rechtslage lapidar abgeschmettert worden sind. ■