Was bedeutet eigentlich „Sichtweite“?

Cannabis-Schlupfloch: Macht DIESER Trick das Kiffen vor Schulen legal?

Im Umkreis von 100 Metern um Schulen darf nicht gekifft werden. Aber: Was ist, wenn Konsumenten näher am Gebäude stehen, man sie aber nicht sehen kann?

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Seit dem 1. April darf legal gekifft werden - es gelten aber verschiedene Einschränkungen.
Seit dem 1. April darf legal gekifft werden - es gelten aber verschiedene Einschränkungen.Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Seit dem 1. April gilt das neue Cannabis-Gesetz in Deutschland – dank Teil-Legalisierung darf nun straffrei zum Joint gegriffen werden. Es gibt jedoch auch Regelungen, die den Konsum einschränken sollen: Beispielsweise ist das Konsumieren der Droge rund um Einrichtungen wie Schulen untersagt. Laut Anwälten gibt es allerdings ein Schlupfloch, das das Kiffen auch im Umkreis von Schulen ermöglichen könnte: Ein einziger Begriff könnte es sein, der im Fall eines Rechtsstreits dafür sorgt, dass dieser Teil des Gesetzes nicht umgesetzt werden kann.

Kiffen im Umkreis von Schulen: Was bedeutet eigentlich „Sichtweite“?

Auf den ersten Blick scheint das neue Cannabis-Gesetz klar vorzuschreiben, wo gekifft werden darf und wo nicht. So soll der öffentliche Konsum von Cannabis eingeschränkt werden. „Kein Konsum in unmittelbarer Nähe von Personen unter 18 Jahren; kein Konsum in Anbauvereinigungen und in Sichtweite von Anbauvereinigungen; kein Konsum in Fußgängerzonen zwischen 7 und 20 Uhr; kein Konsum in Sichtweite von Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Kinderspielplätzen sowie öffentlich zugänglichen Sportstätten“, heißt es auf der Website des  Gesundheitsministeriums.

Das juristische Problem laut einem Bericht der „Bild“: Was bedeutet eigentlich „Sichtweite“? „Eine Sichtweite ist bei einem Abstand von mehr als 100 Metern von dem Eingangsbereich der genannten Einrichtungen nicht mehr gegeben“, heißt es dazu beim Gesundheitsministerium. Aber: Prinzipiell geht die Definition von Sichtweite nicht von einem bestimmten Abstand aus – sondern davon, ob etwas die Sicht blockiert. So liegt die Sichtweite beim Autofahren im Nebel etwa bei 20 Metern, wenn man eben nicht weiter als 20 Meter gucken kann.

Katharina Günther-Wünsch (CDU), Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, ist gegen das Cannabis-Gesetz.
Katharina Günther-Wünsch (CDU), Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, ist gegen das Cannabis-Gesetz.Annette Riedl/dpa

„Der Busch vor der Schule bereitet durchaus Schwierigkeiten. Man könnte sagen, dass der Kiffer hinter dem Busch zwar nicht sichtbar, aber eben doch in Sichtweite der Schule oder Kita ist“, sagt etwa Prof. Jan Klement, Lehrstuhlinhaber für Staatsrecht an der Uni Freiburg, gegenüber „Bild“. Er bringt als Beispiel außerdem einen VW-Bus, der vor einer Schule geparkt ist – auch hier sind Konsumenten nicht sichtbar. Sein Fazit: „Hier wird es zweifellos zu großen Unterschieden im Vollzug des Gesetzes zwischen den einzelnen Ländern kommen.“

Wird der Begriff Sichtweite verwendet, ist Kiffen vor Schulen nicht automatisch verboten

Der Hamburger Anwalt Gerhard Strate warnt in einem Interview mit der „Bild“: „Verwendet das Gesetz Begriffe, die strafrechtliche Auswirkungen haben, gilt der Bestimmtheitsgrundsatz. Maßgeblich ist vor allem der Wortlaut. Sichtweite ist Sichtweite. Wenn die Sicht durch einen Busch versperrt wird, besteht keine Sichtweite mehr. Weder für den Kiffer noch für die Schüler. Kiffen wäre dann erlaubt.“ Fraglich bleibt also, was mit Sichtweite konkret gemeint ist – und ob die Definition auf 100 Meter Luftlinie Bestand hat, wenn es zu einer juristischen Auseinandersetzung kommt.

Auch die Berliner Senatsverwaltung für Bildung kritisierte bereits, dass unklar ist, wie die Länder die Abstandsregeln eigentlich überwachen sollen.  „Es fehlt an klaren Maßnahmen und an Ressourcen, um eine effektive Umsetzung sicherzustellen“, hieß es. Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) lehne das neue Gesetz grundsätzlich ab, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. „Die Entscheidung der Bundesregierung sendet das völlig falsche Signal aus“, kritisiert die Bildungsverwaltung. „Anstatt Cannabis durch Legalisierung gesellschaftsfähig zu machen, sollte den Jugendlichen noch stärker bewusst gemacht werden, dass die gesundheitlichen Risiken besonders hoch sind.“ ■