Am Rand von Berlin

Waldkindergärten: Warum es gut ist, wenn Kinder im Grünen groß werden

Die Kita „Waldzwerge“ in Falkensee ist eine von rund 20 Waldkindergärten in Brandenburg. Die Kitas boomen - auch weil die Erzieher hier einiges anders machen.

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Die Kinder vom Waldkindergarten „Waldzwerge“ gehen auf ihrem Weg in den Wald über einen umgestürzten Baum. Hier befinden sich die Kinder mit ihren Erzieherinnen den ganzen Tag in der freien Natur im Rhythmus der Jahreszeiten.
Die Kinder vom Waldkindergarten „Waldzwerge“ gehen auf ihrem Weg in den Wald über einen umgestürzten Baum. Hier befinden sich die Kinder mit ihren Erzieherinnen den ganzen Tag in der freien Natur im Rhythmus der Jahreszeiten.Jens Kalaene/dpa

Die balancieren über einen umgestürzten Baumstamm, lassen Springkraut schnipsen und frühstücken auf Planen im Grünen. Die „Waldzwerge“ aus Falkensee verbringen den größten Teil des Tages im Wald – außer, der Wind weht zu stark. 20 Waldkindergärten gibt es in Brandenburg. Im Jahr 2001 entstand auf private Initiative die Waldkita in Falkensee: Die Kinder, so die Idee, sollen sich die meiste Zeit des Tages in der Natur aufhalten und mit ihr im Rhythmus der Jahreszeiten sowie gemeinsam mit den Tieren, Pflanzen und Bäumen leben. Eine Idee, die immer populärer wird.

An einem kleinen Holzhaus am Stadtrand von Falkensee im Havelland halten an diesem Morgen mehrere Autos. Kleine Kinder steigen aus, ihre Mütter oder Väter bringen sie in die Kita „Waldzwerge“. Das Besondere an diesem Kindergarten: Die Drei- bis Sechsjährigen bleiben nicht im Gebäude oder auf dem Grundstück mit seinen vielen Spielgeräten, sondern gehen nahezu jeden Tag hinaus in die Natur. Die Einrichtung im grünen Berliner Speckgürtel ist eine Waldkita. Gespielt und getobt, aber auch gelernt wird fast ausschließlich im angrenzenden Wald.

Erst bei Sturmwarnstufe Rot geht es nicht in den Wald

Dieses besondere pädagogische Konzept gibt es nach Angaben des Bundesverbandes der Natur- und Waldkindergärten (BvNW) rund 20 Mal in Brandenburg. Tatsächlich könnten es noch einige mehr sein, denn die genaue Zahl sei aufgrund der unterschiedlichen Träger, etwa Elterninitiativen, Diakonie und Caritas oder kommunale Träger, schwierig zu ermitteln. Gerade wird in Garz in der Prignitz eine weitere Naturkita geplant.

Und dieses Konzept gilt bei fast jedem Wetter, betont Kita-Leiterin Heike Schwarzschulz. „Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht im Wald sind.“ Das gelte auch bei Regen oder Sturm. Erst bei der Sturmwarnstufe Rot verzichten die „Waldzwerge“ auf ihren Tag im Freien. Ansonsten heißt es jeden Tag: Spätestens um 9 Uhr am Morgen geht es zum Spielen und Toben, aber auch zum Erforschen hinaus ins Grüne.

Die Schutzhütte vom Waldkindergarten: Hier gibt es das Mittagessen.
Die Schutzhütte vom Waldkindergarten: Hier gibt es das Mittagessen.Jens Kalaene/dpa

Sobald Schwarzschulz oder eine der drei anderen Erzieherinnen das Glöckchen läutet, machen sich alle fertig: Mit Rucksack auf dem Rücken, in diesen Tagen auch mit Sonnenhut oder Basecap auf dem Kopf und stets mit langärmeliger Kleidung gehen sie los. Schon auf dem Weg fällt auf, dass die Kinder einen geschärften Blick für die Natur haben. Am Wegesrand entdecken sie Springkraut, auch ein kleiner Grashüpfer fällt einem der Kinder auf.

Keine Tablets: Technik bleibt außen vor

„Bei uns ist der Tag nicht so durchstrukturiert, außerdem erleben die Kinder weniger Reizüberflutung, etwa durch zu viel Spielmaterial“, zählt Schwarzschulz die Vorteile des Naturkindergartens auf. Auch auf Medien wie Tablets verzichten die Erzieherinnen. Dadurch lernten die Kinder, stärker auf sich selbst fokussiert zu sein. Die Kinder, so wirbt die Kita auf ihrer Internetseite, seien dadurch sehr ausgeglichen, weniger aggressionsbereit und würden ein hohes Maß an sozialer Kompetenz aufweisen.

Dabei ist der Tagesablauf durchaus strukturiert: Im Wald angekommen, gibt es zunächst eine „Guten Morgen Begrüßung“. Da werden Lieder gesungen, Gedichte aufgesagt oder die Schwerpunkte für den Tag besprochen. Zudem besprechen die Erzieherinnen ein aktuelles Thema mit den Kindern. An diesem Morgen stehen Bienen und Hummeln auf dem Programm. Heike Schwarzschulz zeigt ein Buch, in dem abgebildet ist, wie die Insekten sich fortpflanzen oder Blüten bestäuben. Dazu gibt es an diesem Morgen selbstgemachten Honig aufs Brot, den Erzieherin Christina Haacke mitgebracht hat.

Waldkindergarten „Die Waldzwerge“: Schon früh am Morgen geht es raus in den Wald.
Waldkindergarten „Die Waldzwerge“: Schon früh am Morgen geht es raus in den Wald.Jens Kalaene/dpa

Denn der zweite Fixpunkt beim täglichen Waldbesuch ist das gemeinsame Frühstück. Die Kita hat mehrere Plätze im Wald, die sie abwechselnd aufsucht. Dort wird eine Kunststoffplane ausgelegt, auf der die Kinder ihr mitgebrachtes Frühstück essen können. Auch an das Wasser zum Händewaschen haben die Erzieherinnen gedacht. Im Anschluss gibt es freies Spiel, bis es zum Mittagessen in die Schutzhütte zurückgeht. Nach einer Ruhezeit am Mittag, zu der die Kinder schlafen können, aber nicht müssen, geht es für die Tageskinder nochmals nach draußen.

Kinder lernen eine natürliche Liebe zur Natur

Kita-Leiterin Schwarzschulz kam nach eigenen Worten eher zufällig zu diesem Projekt. Doch nach einem Praktikum sei für sie klar gewesen: „Es hat mich gepackt, mit den Kindern draußen zu sein.“ Da wird geschnitzt oder es werden Vogelarten erkundet, und die Kinder werden für einen sorgsamen Umgang mit der Natur sensibilisiert. Vor ein paar Tagen seien Motorradfahrer durch den Wald gefahren, erzählt die Kita-Leiterin. Sofort hätten einige Kinder gesagt, wie schlecht sie das finden. „Sie lernen eine natürliche Liebe zur Natur.“

Auch der BvNW mit Sitz in Kiel in Schleswig-Holstein weist auf die Vorteile dieser besonderen Art von Kindergärten hin. Die Kinder seien in ihrer Entwicklung sogar eher weiter als ihre Altersgenossen in Regelkindergärten, so der Verband. Der Naturraum biete alles, was in den Bildungsplänen der Bundesländer und den Konzeptionen der Kindergärten vorgeschrieben sei.

Während einer Rast im Wald wird gefrühstückt.
Während einer Rast im Wald wird gefrühstückt.Jens Kalaene/dpa

Wichtig in der Kindergartenzeit sei nicht unbedingt, Kinder auf die Schule vorzubereiten. Vielmehr sollten Kinder in diesem Alter lernen, sich soziale Kompetenzen anzueignen, zu forschen und zu experimentieren. Solche Eigenschaften würden im Konzept des Waldkindergartens ideal gefördert, so der Verband. Auch wirke sich der häufige Aufenthalt im Freien positiv auf die Gesundheit aus.

Dieses Konzept überzeugt offenbar immer mehr Eltern: Laut BvNW gibt es heute in Deutschland schätzungsweise rund 4000 Natur- und Waldkindergärten oder Waldgruppen. Vor fünf Jahren seien es gut 3000 gewesen. Zu den Naturkindergärten zählen demnach auch Strand-, Wander- oder Landkindergärten.

Auch im Wald: Vorm Frühstück werden die Hände gewaschen.
Auch im Wald: Vorm Frühstück werden die Hände gewaschen.Jens Kalaene/dpa

Die vierjährige Livli ist bereits sensibel gegenüber der Natur geworden: Vor ein paar Tagen, so erzählt sie, habe bei ihr zu Hause ein Kobel, also ein Eichhörnchen-Nest, auf dem Rasen gelegen. Er war wohl vom Baum gefallen. Kurzerhand hat das Mädchen das leere Nest im Wald aufgestellt. Hier wartet der Kobel jetzt auf neue Bewohner. ■