Videoreportage Assistenzhund

Blindenhündin Xena ist Alltagsheldin: „Sie hat mir das Leben gerettet“

Assistenzhunde können Leben retten – der KURIER durfte eine Labradorhündin bei ihrer Arbeit begleiten.

Author - Veronika Hohenstein
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Labrador Xena führt ihr  Herrchen Ulf Stutzky durchs Leben – er ist auf die Hündin angewiesen und muss ihr wortwörtlich blind vertrauen.
Labrador Xena führt ihr Herrchen Ulf Stutzky durchs Leben – er ist auf die Hündin angewiesen und muss ihr wortwörtlich blind vertrauen.Veronika Hohenstein

Das Auto saust auf uns zu, ich will Stopp rufen, aber die Labradorhündin Xena hat die Gefahr bereits erkannt. Sie führt ihr Herrchen Ulf Stutzky sicher zum Bürgersteig, weg von der Hauptstraße – er ist auf die Hündin angewiesen und vertraut dem Tier wortwörtlich blind. 

„Das Schlimmste sind die Elektroautos“, sagt Ulf Stutzky. Er hört sie nicht, kann die Gefahr nicht einschätzen, muss sich nur auf seine Hündin und den Blindenstock verlassen. Wir befinden uns in Falkensee, eine gute Stunde vom Zentrum Berlins entfernt. In der Kastanienallee wohnt Ulf Stutzky, er erblindete vor mehr als 20 Jahren infolge einer unheilbaren Krankheit. Trotz dieses Schicksalsschlags ermöglicht ihm Xena heute ein erfülltes und glückliches Leben, wie er dem KURIER schildert.

Ein Spaziergang, wo zwei Umdrehungen in Orientierungslosigkeit enden können

„Ich verdanke meine Selbstständigkeit und Freiheit meinen Hund“, sagt er, während er Xenas schwarz glänzendes Fell streichelt. Sie liegt zu seinen Füßen.

Xena ist schon seine zweite Hündin. Ihre Vorgängerin begleitete Stutzky bis ans Ende ihrer Tage. Er erzählt, wie es für ihn mit den Blindenhunden anfing und wie diese vierbeinigen Profis ihn schon mehrfach vor großen Katastrophen bewahrt haben, ja sogar sein Leben retteten. Er trocknet eine Träne weg – dieses Gespräch wühlt Gefühle auf. Stutzky erzählt, wie er einmal fast ertrunken wäre: Ohne seiner Hündin wäre er vielleicht nicht mehr am Leben. Denn das erfrischende Bad entpuppte sich als lebensgefährliches Malheur, als Stutzky plötzlich bemerkte, dass er die Orientierung im Wasser verloren hatte. 

Er spürte weder den Grund unter den Füßen, noch wusste er, wo das Ufer war. Die Angst, die ihn daraufhin überkam, machte ihm bewusst, wie brenzlig diese Situation für ihn war. Seine Hündin hatte er am Strand zurückgelassen. Jetzt fiel ihm ein, dass sie ihn wahrscheinlich nicht aus den Augen gelassen hatte. Er rief nach ihr, dreimal. Plötzlich spürte er sie ganz dicht bei sich, und die Labradorhündin begleitete ihn zurück zum sicheren Ufer. Wir sitzen in seiner Küche, er trinkt einen Schluck Wasser. Eine weitere Träne rinnt ihm über die Wange.

Bis diese freundlichen und verspielten Tiere zuverlässige Blindenführhunde werden, durchlaufen sie eine intensive Ausbildung. Diese besteht aus hartem und konzentriertem Training, das oft bis zu ein Jahr dauern kann. Xenas Trainerin Melissa Kassner arbeitet bei der Stiftung Deutsche Schule für Blindenführhunde, die seit fast 30 Jahren die Lebensqualität blinder und sehbehinderter Menschen durch zuverlässige Führhunde verbessert. Diese gemeinnützige Organisation ist auf Spenden angewiesen.

So wird ein Blindenhund ausgebildet

„Die Führhunde sind von Geburt an für diese wichtige Aufgabe bestimmt, aber oft schafft es von einem Zehn-Welpen-Wurf nur die Hälfte der Hunde in das Hundeberufsleben als Blindenhund“, erzählt Kassner. Sie bildete damals Xena aus, nachdem die Hündin eine verspielte Kindheit bei ihrer Patenfamilie genossen hatte.

Blindenhund-Patenschaft übernehmen
Die Stiftung Deutsche Schule für Blindenführhunde ist ständig auf der Suche nach lieben Patenfamilien für Labrador,- und zukünftige Blindenführhunde.
Kontakt über die Website https://fuehrhundschule.de/

Von der Aufzucht über die Ausbildung und die Arbeit als Blindenführhund bis zur Seniorenbetreuung begleitet die Stiftung jede Lebensphase der Hunde und deren Halter – ein Leben lang. Labradorhündin Xena wohnt seit mehr als einem Jahr bei der Familie Stutzky. Es ist ein freudiges Wiedersehen, als Trainerin Kassner die Hündin zum Interview trifft.

„Die Arbeit eines Blindenführhundes ist anspruchsvoll und fordert eine hohe Konzentration, auch seitens der Halter“, erzählt Trainerin Kassner. „Man muss konsequent sein und gleichzeitig viel Gefühl und Liebe für das Tier ausstrahlen, auch für die eigene Sicherheit.“

Bei einem Spaziergang unter blühenden Kastanien, aber auf einer stark befahrenen Straße zeigt sich, wie umfassend diese Assistenztiere vorbereitet sind. So wird auch die eigentlich verspielte Xena plötzlich ganz ernsthaft in ihrem Geschirr. Wenn die Hündin arbeitet, hilft sie, Hindernisse auf dem Weg zu erkennen: geparkte Autos, Spielzeug, Kantsteine, Fahrräder oder auch Zweige und Äste, die ihrem Herrchen zum Verhängnis werden können. Xena hat den Überblick. So entscheidet sie, welcher Weg der sicherste für ihr Herrchen ist.

Deswegen sollten Sie keine Blindenhunde bei der Arbeit streicheln

Wenn Stutzky zur Apotheke muss, kennt Xena den Weg auswendig – bei neuen Wegen bekommt sie präzise Anweisungen wie rechts, links, such Zebra, such Eingang, such Ausgang oder such Treppe.  Selbst in herausfordernden Situationen, bei viel Verkehr und Stadtgewusel, behält Xena die Nerven, erzählt Trainerin Kassner. Auch andere Hunde muss die Blindenführhündin ignorieren, solange sie im Geschirr ist. Problematisch kann es werden, wenn Passanten Xena streicheln wollen. Da tut man weder dem Hund noch dem Herrchen einen Gefallen, betont die Hundetrainerin Kassner. Denn was für manche wie ein entspannter Spaziergang aussieht, erfordert höchste Konzentration und Teamarbeit.

Stutzky kennt seine Umgebung und Nachbarschaft sehr gut, aber bei einem längeren Spaziergang durch die Straßen kann auch er sich verlaufen. Hätte er nicht seine Xena, „müsste ich mich an Hecken und Gartenzäunen abtastend nach Hause suchen“, erzählt er.

Der Blindenhund guckt für sein Herrchen mit

Plötzlich hält Stutzky inne: „Steht da ein Auto vor mir oder warum wechselt sie die Straßenseite?“, fragt er. Tatsächlich stand da ein Auto auf dem Bürgersteig. Die, die sehen können, weichen diesem einfach aus – und so führt auch Xena ihn sicher drumherum. „Jetzt sind wir ja bald zu Hause, komm Xena, du hast Feierabend.“ Er zieht ihr das Geschirr aus, und Xena wird sofort wieder der verspielte Hund, benimmt sich sehr hündisch. Riecht an Zäunen und Büschen, markiert und rollt sich im Gras. Guckt einer Katze hinterher und jault. 

In einer kleinen Pausendose liegen geschälte und geschnittene Möhrchen. Das sind ihre gesunden Leckerlis. Geduldig wartet Xena, bis Herrchen Stutzky ein Stückchen anbietet. Obwohl sie Feierabend hat, hat die Hündin ein Auge auf ihn und bringt ihn die letzten 500 Meter sicher nach Hause. Im Garten, sicher vor Autos, E-Scootern und Stolperfallen, wird dann ausgiebig gespielt und gekuschelt.

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Veronika Hohenstein
Wer kann einen Führhund erhalten?
In Deutschland wird ein Führhund als einziges lebendiges Hilfsmittel von Augenärzten verschrieben, die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen.
Die Sehkraft muss unter fünf Prozent liegen. Der Patient muss über eine gute Orientierung verfügen und ein Mobilitätstraining absolviert haben.
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Veronika Hohenstein
Wie verhält man sich gegenüber Blindenführhunden im Alltag?
Jeder kennt es – man sieht einen süßen Vierbeiner und möchte ihn am liebsten streicheln. Wenn Sie jedoch einem Blindenführhund im Alltag begegnen, sehen Sie davon ab, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der Vierbeiner ist hoch konzentriert bei der Arbeit und unterstützt seinen sehbehinderten Besitzer dabei, sicher durch den Tag zu kommen. Jede Ablenkung kann die Konzentration des Blindenhundes stören und seinem Besitzer ein unsicheres Gefühl geben.