Irre Studie

Berliner zu alt für den Hausarzt? Erschreckende Studie der AOK

Mehr als ein Drittel der Krankenhausaufenthalte könnten nach einer neuen Studie vermieden werden - wenn die medizinische Versorgung im häuslichen Umfeld besser wäre.

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Immer mehr ältere Berliner kommen in Krankenhäuser, weil die hausärztliche Versorgung nicht gut genug ist.
Immer mehr ältere Berliner kommen in Krankenhäuser, weil die hausärztliche Versorgung nicht gut genug ist.Monika Skolimowska/dpa

Die Zahlen sind erschreckend, die Krankenkassen schlagen Alarm! Die Zahl der Patientinnen und Patienten über 80 ist in den Berliner Kliniken um rund 60 Prozent gestiegen. Das zeigt der neue Krankenhaus-Report 2025 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Und: Viele dieser Krankenhaus-Aufenthalte ließen sich verhindern – durch eine bessere ambulante Betreuung hochbetagter Berlinerinnen und Berliner. Sind die Berliner also zu alt für den Hausarzt?

Immer mehr Hochbetagte landen in Berliner Kliniken – und das stellt die Krankenhäuser vor große Herausforderungen. Wie aus dem aktuellen Krankenhaus-Report hervorgeht, ist der Anteil der Patientinnen und Patienten über 80 Jahren in den vergangenen rund 20 Jahren deutlich gestiegen: Lag er 2005 noch bei 14 Prozent, waren es 2023 bereits 22 Prozent aller Behandlungen. Die betagten Menschen bringen häufig gleich mehrere Erkrankungen mit und benötigen intensive medizinische wie auch pflegerische Betreuung. Doch genau darauf seien viele Kliniken der Hauptstadt bislang nicht ausreichend eingestellt, kritisieren die Expertinnen und Experten im Report.

Ältere Berliner landen zu oft im Krankenhaus

„Insgesamt sehen wir bei diesen Patientinnen und Patienten ein hohes Risiko für Komplikationen. Deshalb müssen wir die ambulante Versorgung für Hochbetagte dringend verbessern. Das verhindert unnötige Krankenhausaufenthalte, schützt die Kliniken vor Überlastung und verhindert massive Kostensteigerungen“, betont Dagmar Schmidt, Krankenhaus-Expertin bei der AOK Nordost.

Wie aufwendig die Behandlung hochbetagter Patientinnen und Patienten tatsächlich ist, zeigt sich auch beim Blick aufs Geld: Laut dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) kostet ein Krankenhausaufenthalt bei Menschen über 80 im Schnitt rund 3.350 Euro – fast sieben Mal so viel wie bei unter 60-Jährigen.

Die Gründe: Mehrfacherkrankungen, längere Liegezeiten und ein deutlich höherer Pflegeaufwand. Und der Druck auf das Gesundheitssystem dürfte weiter steigen. Denn mit den Babyboomern erreicht in den kommenden Jahren eine besonders geburtenstarke Generation das Rentenalter – und wird den Bedarf an altersgerechter Krankenhausversorgung noch einmal kräftig in die Höhe treiben, warnen die WIdO-Autorinnen und Autoren.

Report: Ein Drittel der Krankenhausaufenthalte könnten vermieden werden

Doch es kommt noch schlimmer! Denn: Laut einer Analyse für den Krankenhaus-Report hätten allein im Jahr 2022 rund 44.000 Krankenhausaufenthalte hochbetagter Berlinerinnen und Berliner vermieden werden können. Das entspricht fast jeder dritten Einweisung in dieser Altersgruppe.

Es betrifft insbesondere Krankenhausfälle von Pflegebedürftigen mit Erkrankungen wie Herzinsuffizienz oder Diabetes. Sie sollten idealerweise hausärztlich oder im Pflegesetting kontinuierlich versorgt werden. „Wir müssen dafür sorgen, dass nur die Menschen im Krankenhaus behandelt werden, deren stationäre Behandlung nicht vermieden werden kann“, sagt Dr. David Scheller-Kreinsen, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO und Mitherausgeber des Reports.

Das sanierte Hochhaus der Charite. Die Zahl der Patientinnen und Patienten über 80 ist in den Berliner Kliniken um rund 60 Prozent gestiegen.
Das sanierte Hochhaus der Charite. Die Zahl der Patientinnen und Patienten über 80 ist in den Berliner Kliniken um rund 60 Prozent gestiegen.Soeren Stache/dpa

Medizinische Betreuung direkt im häuslichen Umfeld stärken

Um Krankenhausaufenthalte bei hochbetagten Menschen möglichst zu vermeiden, braucht es vor allem eines: eine stärkere medizinische Betreuung direkt im häuslichen Umfeld. Genau hier setzt das neue Berliner Modellprojekt „ErwiN“ an, das seit April 2024 mit Unterstützung der AOK Nordost getestet wird. Der Name steht für „Erweiterte Übertragung von arztentlastenden Tätigkeiten in ArztNetzen“ – und bringt frischen Wind in die Versorgung älterer, chronisch kranker Menschen.

Im Mittelpunkt stehen speziell geschulte Pflegefachkräfte, die eigenverantwortlich Hausbesuche übernehmen und ausgewählte medizinische Maßnahmen durchführen. Ärztinnen und Ärzte können bei Bedarf per Videosprechstunde dazugeschaltet werden. Ziel ist es, die Hausarztpraxen zu entlasten und gleichzeitig die Versorgungssituation für Hochbetagte zu verbessern. Während diese Art der Aufgabenverteilung in anderen europäischen Ländern längst zum Alltag gehört, ist sie in Deutschland derzeit nur im Rahmen von Modellprojekten wie ErwiN erlaubt.