Über 1,3 Millionen Haushalte werden in Berlin mit Fernwärme versorgt. Dass die Heizkosten durch die Energiekrise und den Folgen des Ukraine-Krieges drastisch in der Vergangenheit stiegen, damit haben die Berliner Mieter schon genug zu kämpfen. Doch nun kommt der Schock: Die Fernwärmekosten scheinen nun offenbar weiter zu explodieren, obwohl Mieter jetzt weniger Energie verbrauchen.
Darüber berichtet aktuell die Berliner Zeitung. Denn bei ihr meldeten sich Mieter, die Fernwärme beziehen und schockiert nun ihre aktuellen Abrechnungen lasen. In einem Fall muss eine dreiköpfige Familie in Berlin-Wilmersdorf für das Jahr 2023 knapp 900 Euro mehr Heizkosten zahlen als noch für den Vorjahreszeitraum. Dabei ist ihr Verbrauch ist gesunken.
Ein Blick in die Unterlagen des Vermieters zeigt im Detail: Für die Familie ergeben sich für 2023 Heizkosten von insgesamt rund 2730 Euro, obwohl das Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz (EWPBG) schon einkalkuliert und der Verbrauch gesunken ist. Im Vorjahr lagen die jährlichen Kosten für die Heizung unter Berücksichtigung der Dezember-Soforthilfe für die Mieter der 85-Quadratmeter-Wohnung noch bei knapp 1840 Euro.
Wie kann denn so etwas sein? Ein tieferer Einblick in die Unterlagen zeigt, dass die Verbrauchswerte 2023 im Vergleich zu 2022 um 7,2 Prozent gesunken sind. Im Gegenzug sind aber die Brennstoffkosten (ohne staatliche Subventionen wie Entlastungsbetrag oder Dezember-Soforthilfe), Wartungskosten oder Service um fast 50 Prozent gestiegen.

Das bedeutet letztlich für viele Berliner Haushalte: Fernwärme ist wohl teurer geworden. Besser gesagt, der Preis je Kilowattstunde (kWh) schoss offenbar nach oben.
Eine Kilowattstunde Fernwärme kostet im Schnitt 16 Cent
Zum Vergleich: Laut dem Vergleichsportal Verivox liegt der durchschnittliche Gaspreis, den Haushalte mit einer Gasheizung zahlen, aktuell bei rund neun Cent pro kWh. Bei der Fernwärme sieht das etwas anders aus: Hier liegen laut Verivox die durchschnittlichen Kosten für eine kWh bei etwa 16 Cent, unter Berücksichtigung des Grundpreises.
Bei der erwähnten Familie aus Wilmersdorf liegt der Preis für die Fernwärme mit 12,34 Cent je kWh vergleichsweise niedrig. Jedoch lag er für das Abrechnungsjahr 2022 noch bei rund neun Cent. Und die Jahre davor bei 6,07 und 6,5 Cent je kWh. Eine unglaubliche Preissteigerung, sagen Mieter und Vermieter.
Verbraucherschützer kritisieren diese Entwicklung. Ein großes Problem seien dabei die Monopolstellung der Fernwärmeanbieter und intransparente Preise. Die Monopolkommission warnte im Juli vor der wachsenden Marktmacht von Fernwärmeanbietern. Sollten Mieter beziehungsweise die Vermieter da nicht umschauen und zu einem günstigen Fernwärmeanbieter wechseln?
Möglich wäre es, sagt der Wohnungsvermieter in dem Fall aus Wilmersdorf. Allerdings würde ein Wechsel eine hohe sechsstellige Investition bedeuten und die Umstellung würde mehrere Jahre dauern. Man könne bei Fernwärme nicht einfach den Versorger wechseln, wie es bei Gas- und Stromanbietern der Fall ist.
Die Berliner Zeitung konfrontierte die Berliner Energie und Wärme AG (BEW) mit der Fernwärme-Kostensteigerung. Das landeseigene Energieversorgungsunternehmen übernahm im Mai von Vattenfall das Berliner Netz für Fernwärme. Es ist das größte in Westeuropa.
Fernwärme: Warum steigen die Kosten?
Die BEW sagte auf Anfrage, dass die jeweilige Abschlagshöhe für das Jahr 2023 „auf Grundlage der Verbräuche und Preise des Jahres 2022“ ermittelt wurde. Zudem seien die Preisanstiege im Jahr 2022 durch die Dezember-Soforthilfe und das Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz abgefedert worden. „Demzufolge war der wirkliche Preisanstieg erst 2023 spürbar und die auf den Preisen des Jahres 2022 basierenden Abschläge tendenziell zu niedrig.“
Bei der Familie in Wilmersdorf ist die Abfederung durch das EWPBG aber laut Abrechnung erst im Jahr 2023 erfolgt. 2022 kam die Dezember-Soforthilfe zum Tragen. Wie erklärt sich mit diesem Hintergrund und bei den reinen Brennstoffkosten der besagte Kostenanstieg von 50 Prozent trotz gesunkenem Verbrauch?

Fernwärme Berlin: „Preise entsprechend der Marktentwicklung angepasst“
Als die Berliner Zeitung die BEW damit erneut konfrontiert und die genauen Zahlen mitsendet, verweist die Sprecherin auf die Konditionen des Tarifs Stadtwärme Klassik Plus, der für das Mietshaus in Wilmersdorf abgeschlossen wurde. „Vor dem Hintergrund der mehrjährigen Laufzeit der Fernwärmeverträge ist es wirtschaftlich notwendig, die einmal vertraglich vereinbarten Preise entsprechend der Marktentwicklung anzupassen“, sagt die Sprecherin.
Die konkrete Ableitung der Preisänderungsklausel für den Arbeitspreis beim Produkt Stadtwärme Klassik Plus basiere auf den erzeugungstechnischen Gegebenheiten und berücksichtige die gesamte Produktion. „Die Entwicklung der Arbeitspreise hängt von der Preisentwicklung der eingesetzten Brennstoffe ab“, so die BEW-Sprecherin. So lag etwa der Steinkohleindex 2021 bei 168 und stieg im Jahr 2023 auf 442.
Seit dem vierten Quartal 2023 sinken die Preise, heißt es in der BEW-Antwort. Bei einem verbesserten Energiemix würden sich die Kosten stabiler entwickeln, als wenn nur eine Energiequelle genutzt würde. Letztendlich setzt sich Fernwärme aus mehreren Energiekomponenten zusammen. Der Energiemix scheint für das Mietshaus in Wilmersdorf mit zwei Dritteln Erdgas noch nicht