100 Jahre (oder älter?)

Avus, Adolf, Adenauer: So lief die Erfindung der Autobahn

Man hört es immer noch: Hitler hat die Autobahn erfunden. Falsch. Denn das sind Fake News der ganz alten Art. Wie es wirklich losging.

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Der Rennfahrer Hans Stuck Anfang der 30er Jahre beim Versuch, auf der Avus den Stundenweltrekord zu brechen.
Der Rennfahrer Hans Stuck Anfang der 30er Jahre beim Versuch, auf der Avus den Stundenweltrekord zu brechen.Gemini Collection/imago

Es ist wie beim Streit um die Currywurst, wo sowohl Berlin als auch Hamburg die Urheberschaft beanspruchen. Ähnlich sieht es bei der ersten Autobahn aus. Berlin ist wieder beteiligt, aber auch Mailand mischt mit – und dann gibt es natürlich noch die oft kolportierte Geschichte, dass doch eigentlich Adolf Hitler die Autobahn erfunden hätte. Was sicher ist: Die A8 (heute auch E62) zwischen Mailand und Varese feiert in zwei Tagen ihren 100. Geburtstag. 

Die deutsche Autobahngeschichte wird von drei A’s geprägt: Avus, Adolf und Adenauer. Und mit der Avus (Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße), die heute Teil der Autobahn A115 ist, wären wir in Berlin. 1921 eröffnet, pro Richtung neun Kilometer lang, die erste ausschließlich für Autos zugelassene Straße der Welt. Die Avus führt vom Funkturm durch den Grunewald bis Nikolassee.

Berlin, Köln oder Mailand – Hauptsache Autobahn

Das Online-Lexikon Wikipedia führt sie als erste autobahnähnliche Strecke der Welt. Man musste damals zahlen (wir Berliner sind also auch Erfinder der Maut), um darauf zu fahren. Für den öffentlichen Verkehr ohne Abonnement oder Tageskarte war sie nicht freigegeben. Außerdem wurde die Avus als Test- und Rennstrecke genutzt.

Andere Quellen zufolge gilt die L185 (die heutige A555 zwischen Köln und Bonn) als erste (öffentliche) Autobahn Deutschlands. Womit wir bei dem zweiten A wären. Konrad Adenauer. Denn der damalige Kölner Oberbürgermeister weihte die „Kraftwagenstraße“ am 6. August 1932 nach dreijähriger Bauzeit ein. Allerdings fehlte etwas, was einige Kritiker zweifeln lässt. Die L185 hatte zwar zwei Fahrbahnen je Fahrtrichtung, aber keine Trennung durch Streifen. Und der penible deutsche Zweifler sagt: Eine Autobahn ohne Trennstreifen kann keine echte Autobahn sein.    

Das Wort „echte“ führt uns nach Italien.  Denn vor 100 Jahren, am 21. September 1924, wurde hier zwischen der Großstadt Mailand und dem 42,6 Kilometer weiter nördlich gelegenen Varese die erste echte Autobahn der Welt in Betrieb genommen. Echt, weil: Es war eine Autobahn für jedermann – und sie hatte Mittelstreifen. Obwohl das Wort Autobahn wiederum nicht ganz korrekt ist. Wir sind in Italien, wir sprechen natürlich von einer Autostrada.

Die historische Autobahn gibt es auch immer noch und ist als A8 heute Teil der Europastraße E62. Nicht immer ganz einfach zu befahren. Es ist wie so oft auf ausländischen Autobahnen an der Mautstation. Wieder einmal fehlen die entscheidenden Zentimeter bis zum Lesegerät. Dann funktioniert die deutsche Karte nicht, warum auch immer, und schon fängt der Hintermann an zu drängeln.

Eine Mautstelle auf der Autostrada zwischen Mailand und Varese, der vielleicht ersten modernen Autobahn der Welt. Jetzt wird die A8 in Oberitalien 100 Jahre alt.
Eine Mautstelle auf der Autostrada zwischen Mailand und Varese, der vielleicht ersten modernen Autobahn der Welt. Jetzt wird die A8 in Oberitalien 100 Jahre alt.Christoph Sator/dpa

Wie schön muss das hier, an den oberitalienischen Seen, vor einem Jahrhundert gewesen sein. Als Besitzer eines Autos war man fast noch unter sich. Gezahlt wurde nicht am Automaten, sondern in der Raststätte, in bar. Und an der Schranke stand ein Wärter in Uniform, der freundlich salutierte.

Die Idee für die Autostrada hatte der Unternehmer Piero Puricelli, der auch die legendäre Rennstrecke von Monza baute und später zum Grafen geadelt wurde. Der Ingenieur gründete 1921 ein Unternehmen namens Società Anonima Autostrade, eine Art italienische Autobahn GmbH. Das Prinzip: eine gebührenpflichtige Straße nur für den Schnellverkehr – also ohne Hindernisse wie Kreuzungen, Fuhrwerke, Kutschen, Fahrräder oder Fußgänger. Das war tatsächlich eine sehr futuristische Idee. Auf Italiens Straßen waren seinerzeit noch kaum Pkw unterwegs: 57.000. Insofern war das erste Teilstück der späteren Autostrada dei Laghi (Autobahn der Seen), noch später die A8, ein sehr gewagtes Unternehmen.

Des Führers Fake News

Trotzdem kam Prominenz: Die erste Fahrt unternahm in einem Fahrzeug der bis heute existierenden Marke Lancia der damalige König Vittorio Emanuele III.. Der Monarch durchschnitt auch das Band, sechs Soldaten standen Spalier. Die Tageszeitung La Tribuna di Roma vermerkte anerkennend: „Eine höchst attraktive Fahrt auf einem Beton glatt wie Parkett. Ohne tückische Rinnen oder Radfahrer oder Ähnliches, die man ins Jenseits schicken könnte ...“ In Deutschland wurde darüber auch berichtet: aber nicht über eine Autobahn, sondern über eine „Nur-Autostraße“.

Anfangs gingen die Italiener von täglich 1000 Autos auf der Strecke aus. Es waren aber nur selten mehr als einige Dutzend – was auch daran gelegen haben mag, dass die Autostrada nachts geschlossen war. 1925 wurde der nächste Abschnitt eröffnet, bis nach Como an den gleichnamigen See. Heute ist das die auch von Touristen viel befahrene A9.

Bei dieser Gelegenheit kommen wir zum dritten A. Die bis heute immer wieder gehörte Behauptung, dass Adolf Hitler die Autobahn erfunden habe, ist ausgesprochener Blödsinn. Auf Neudeutsch: Fake News, der ganz alten Art. Adolf Hitler saß zu jener Zeit, als in Italien die Autostrada eingeweiht wurde, in Bayern im Gefängnis, verurteilt zu fünf Jahren, wegen Putschversuchs im November 1923.

Von Autobahnen war bei Hitler erst 1933 die Rede: Nach der Machtergreifung veröffentlichte er ein Programm zum Bau vierspuriger „Straßen des Führers“ quer durch Deutschland. Nicht erwähnt wurde, dass die Pläne eigentlich schon aus den 1920er Jahren stammten. Genauer gesagt aus dem Jahre 1926, vom damals in Frankfurt/Main gegründeten Verein HAFRABA (Abkürzung für Hamburg bzw. Hansestädte – Frankfurt – Basel).

Eine Postkarte mit dem nachgestellten ersten Spatenstich beim Autobahnbau: Adolf Hitler inszenierte sich als Erfinder der Autobahn.
Eine Postkarte mit dem nachgestellten ersten Spatenstich beim Autobahnbau: Adolf Hitler inszenierte sich als Erfinder der Autobahn.Gemini Collection/imago

Aber Hitler inszenierte sich nach der Machtergreifung als großer Autobahn-Vordenker. Im August 1933 begann der Bau des neuen Autobahnabschnitts zwischen Frankfurt/Main und Mannheim – doch den angeblich ersten Spatenstich ließ Adolf Hitler erst einen Monat später, am 23. September 1933, nachstellen. Er selbst am Spaten. Das Fake-News-Foto von damals begründete seinen Ruf als Erfinder der Autobahn. Ein Jahr später befanden sich dann schon rund 1500 Autobahnkilometer im Bau. Straßen, die später für den Krieg benötigt wurden. 

Übrigens gab es seinerzeit eine gewisse Konkurrenz zwischen den Faschisten in Berlin und Rom. Italiens Diktator Benito Mussolini, seit 1922 an der Macht, jubelte zur Eröffnung von Mailand-Varese: „Die Autobahnen sind eine großartige italienische Errungenschaft, und ein sehr konkretes Zeichen unseres Ingenieurgeistes – den Söhnen des alten Roms nicht unwürdig.“

Der Kulturhistoriker Conrad Kunze („Deutschland als Autobahn“) sieht das heute anders. Aus seiner Sicht war Mussolini bei Geld und Propaganda Hitler deutlich unterlegen. „Worin sich beide ähnelten, war die versuchte Monumentalisierung der Straße als großes historisches Werk“, so der Wissenschaftler aus Berlin. „Nur dass die deutsche Variante wesentlich größer, teurer, tödlicher, schneller und berühmter wurde – wie eben im Dritten Reich alles mehrere Nummern größer ausfiel als in Italien.“ ■