Im schönen Osten

„Als ich fortging“: Pfarrer verbietet DDR-Hit von Dirk Michaelis

Eine Kirche in Sachsen schaffte das, was nicht einmal die DDR-Führung wagte. Doch was sagt der Mann zu dem Verbot, der dieses Lied komponiert hat und noch immer singt?

Author - Norbert Koch-Klaucke
Teilen
Dirk Michaelis ist der Komponist und der Sänger von „Als ich fortging“, das er auch bei seinen Konzerten in Kirchen singt.
Dirk Michaelis ist der Komponist und der Sänger von „Als ich fortging“, das er auch bei seinen Konzerten in Kirchen singt.Andreas Weihs/imago

Es ist der Klassiker der DDR-Rockgeschichte. Für viele Menschen ist das Lied sogar der Hit der Wendezeit: „Als ich fortging“ von der Band Karussell, gesungen und komponiert von Dirk Michaelis. Doch was sich damals noch nicht einmal die DDR-Funktionäre wagten, hat nun ein Pfarrer aus Sachsen gemacht. Er verbot, dass das Lied „Als ich fortging“ in seiner Kirche gespielt wird.

Zugetragen hat sich dies alles in der Kirche „Zum Friedefürsten“ in Klingenthal. Dort wollte der Opernsänger Nico Müller (42) den DDR-Hit im Frühjahr aufführen. Doch er bekam vom Pfarrer der Kirche, Jörg Birkenmaier (38), und der Kirchenleitung eine Abfuhr.

Der Sänger, der mit seiner Formation Adoro auftritt und Alben eingesungen hat, außerdem an der Hochschule für Kirchenmusik in Dresden lehrt, hatte sich „Als ich fortging“ und noch andere Lieder für sein Konzert in der Klingenthaler Kirche ausgesucht. Der Bild berichtete er jetzt, dass er der Kirchenleitung sagen sollte, welche Songs er verwenden wollte.

Die Kirche „Zum Friedefürsten“ in Klingenthal (Sachsen)
Die Kirche „Zum Friedefürsten“ in Klingenthal (Sachsen)Zoonar/imago

Die Reaktion auf die Lieder-Liste, die er einreichte: „Ja, Pfarrer und Kirchenvorstand haben mir das Lied vom Programm streichen wollen“, sagte Nico Müller der Zeitung. „Sieben von 17 Liedern, darunter ‚Als ich fortging‘ sollte ich gegen andere austauschen.“

Kirchen-Verbot für DDR-Hit: „‚Als ich fortging‘ wurden aus dem Programm gestrichen“

Ein Unding. Nico Müller zog daraus seine Konsequenzen und verlegte sein Konzert in die Aula einer Schule in dem Ort. Ein weiteres Unding ist es, mit welcher Begründung die Kirchenleitung und der Pfarrer den DDR-Hit ablehnten – wegen einer Textpassage!

Opernsänger Nico Müller:  Ihm strichen Pfarrer und Kirchenleitung den DDR-Hit „Als ich fortgin“g aus dem Programm.
Opernsänger Nico Müller: Ihm strichen Pfarrer und Kirchenleitung den DDR-Hit „Als ich fortgin“g aus dem Programm.Funke Foto Services/imago

„Es geht um die Zeile ‚nichts ist unendlich …‘“, sagt Pfarrer Jörg Birkenmaier der Bild-Zeitung und verweist auf Gott, der sehr wohl unendlich sei. „Wenn nichts unendlich wäre, könnten wir die Kirche zumachen. Damit passt das Lied also nicht vor den Altar“, wird der Pfarrer zitiert. Für Opernsänger Nico Müller ist das nicht nachvollziehbar. Als „engstirnig“ bezeichnet er die Aussage des Pfarrers.

1987 wurde „Als ich fortging“ auf dem Album „Café Anonym“ der Band Karussell. Ihr damaliger Sänger: Dirk Michaelis (63). Schon als Zwölfjähriger hatte er die Melodie, spielte sie immer wieder auf dem Klavier.

Kirchen-Verbot für DDR-Hit: So entstand „Als ich fortging“

Im Herbst 1989 wurde das Lied zur Wende-Hymne in der DDR, als Kommentar auf die Fluchtwelle der DDR-Bürger in Richtung Westen. Zeilen wie „nichts ist unendlich, so sieh es doch ein“ wurden als Abgesang auf den SED-Staat verstanden. In Wahrheit ging es um die Trennung zweier liebenden Menschen.

Die Band Karussell mit Sänger Dirk Michaelis (1987)
Die Band Karussell mit Sänger Dirk Michaelis (1987)Gueffroy/imago

Zu jener Zeit, als Michalis das Lied als Zwölfjähriger noch ohne Text auf dem Klavier spielte, war Gerd Michaelis sein Stiefvater, der den nach ihm benannten erfolgreichen Chor in der DDR leitete. Mit vielen Stars traten sie auf, unter anderem mit Manfred Krug. Das hatte Folgen.

Im Buch „Das jetzt wirklich allerletzte Ostrock-Buch“ des Musikjournalisten Christian Hentschel erzählte Michaelis: „Die wunderbare Chorsängerin Beate Barwandt hatte mit Krug ein Duett gesungen: ,Machʼs gut, ich muss gehen‘. Wenig später hat mein Vater gemeinsam mit ihr diese Worte wahrgemacht. Meine Mutter, mein Bruder und ich waren so unendlich traurig.“

Weiter berichtet Dirk Michaelis: „Vaters Klavier blieb noch eine Weile, und ich spielte darauf, was ich nicht in Worte fassen konnte. So ist die Melodie entstanden, aus der später ,Als ich fortging‘ werden sollte.“

Den Text verfasste die bekannteste Texterin der DDR: Gisela Steineckert. Sie schrieb für so manche DDR-Stars die Worte für ihre Lieder. Auch Dirk Michaelis war bei ihr, legte eine Kassette mit seiner Melodie vor. Doch beinah wäre der Hit „Als ich fortging“ nicht entstanden. „Ich wollte den Text dazu eigentlich nicht machen“, sagte Steineckert einmal im KURIER-Gespräch.

DDR-Hit „Als ich fortging“: „In 35 Minuten war der Text fertig“

Doch die Autorin wollte nicht unhöflich sein. Sie hörte sich die Kassette mit der Melodie an. Als die Texterin die ersten Töne hörte, fiel ihr sofort die erste Zeile „Als ich fortging“ ein. „Ich schrieb immer weiter. In 35 Minuten war der Text fertig.“

Dirk Michaelis mit Texterin Gisela Steineckert bei einem Konzert
Dirk Michaelis mit Texterin Gisela Steineckert bei einem KonzertDaniel Schäfer/imago

Die berühmte Zeile „nichts ist unendlich, so sieh es doch ein“ hat auch sie nicht als politische Botschaft gegen den SED-Staat verstanden. „Es ging mir im Text um zwei Menschen, die sich trennen und einer überlegt, ob sie das Richtige machen“, sagt Steineckert. „Aber so ist es mit Liedern. Sie gehen einfach ihre eigenen Wege.“

Auf Demos, sogar in Kirchen wurde „Als ich fortging“ dann in der DDR gesungen. Und nun wird der Hit, der vor fast 40 Jahren entstanden ist, in einer Kirche im Osten verboten. Für Komponist und Sänger Dirk Michaelis ist das Argument des Pfarrers zur Textzeile „nichts ist unendlich“ schwer nachvollziehbar.

Kirchen-Verbot für „Als ich fortging“: Das sagt Sänger und Komponist Dirk Michaelis

„Eines der berühmtesten Lieder Ostdeutschlands in einen derartig absurden Kontext zu stellen, zeugt von Realitätsverweigerung und Mangel an Geschichtskenntnis“, sagt Michaelis der Bild.

Wie absurd die ganze Geschichte für ihn ist, schildert Michaelis dem KURIER. „Ich bin gerade sehr erfolgreich mit meiner Weihnachtstour in Kirchen unterwegs. Und die Gotteshäuser sind voll. Natürlich spiele ich ,Als ich fortging‘ und alle singen aus vollem Herzen mit. Es sind sehr bewegte Momente. Das zeigt, dass es auch anders geht.“

Dass man nun mit der Textzeile die Unendlichkeit Gottes in Zweifel ziehe, so wie es der Pfarrer in Sachsen sieht, sei übertrieben. „Ich habe mich viel mit Religionen beschäftigt“, sagt Michaelis. „Soweit ich weiß, hat Gott auch ein großes Herz für Menschen, die nicht an ihm glauben.“

„Als ich fortging“ berühre noch immer emotional die Menschen. „Viele schreiben mir ihre Geschichte, ihre Gefühle und Gedanken, die sie mit dem Lied verbinden. Dass dies so ist, darauf bin ich sehr stolz.“

Liebe Leser, was sagen Sie zu dem Verbot des DDR-Hits „Als ich fortging“? Welche Erinnerungen haben Sie an dem Lied? Schreiben Sie uns an wirvonhier@berlinerverlag.com oder kommentieren Sie unseren Beitrag auf Facebook oder bei X. Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften!