Aleksander Lingauer ist Extremsportler mit einer bewegten Geschichte. Seit dem ersten Juli ist er unterwegs, von Sylt aus will er an jedem einzelnen Tag einen Marathon laufen, bis er in 61 Tagen wieder in seiner Heimat Regensburg angekommen ist. An diesem Wochenende läuft der 25-Jährige durch Berlin und Brandenburg.
Freitagabend gibt es nach der Ankunft in Berlin erstmal eine Currywurst, darauf freut sich Aleks schon. Am Morgen ist er in Nauen aufgebrochen, zu Fuß geht es bis in die Stadt, wo er am Samstagmorgen seinen Weg in Richtung Potsdam fortsetzen wird. Dass er am Freitag auf Regenmassen in Berlin treffen wird und eine Kollision mit dem Bus riskiert, weiß er da noch nicht. Doch Widerstände überwinden, darum geht es schließlich bei seinem Lauf.

Mit seinem Lauf will Aleks nicht nur eine persönliche Bestleistung erzielen, sondern mit 2.573-Kilometern kreuz und quer durch Deutschland auch Menschen im ganzen Land zum Spenden animieren. Aleksander Lingauer sammelt Geld für die NGO Space-Eye e.V., die sich unter anderem um ukrainische Geflüchtete kümmert und für das Deutsche Rote Kreuz.

Dass Lingauer sich besonders für die Themen Obdachlosigkeit und Alkoholismus engagiert, hat einen persönlichen Hintergrund. In seiner Kindheit erlebte er dunkle Zeiten, vagabundierte mit seiner Mutter und seinem Bruder zeitweise ohne festen Wohnsitz durch halb Europa.
Physiotherapeut läuft täglich Marathons
Es habe Jahre gedauert, bis er die Alkoholkrankheit seiner Mutter habe verstehen können. „In Deutschland haben die Menschen oft eine dämonisierende Vorstellung von Alkoholismus“, sagt Lingauer. Er selbst habe es ja lange so gehalten. Doch heute will er für das Thema sensibilisieren, bewundere seine Mama inzwischen dafür, was sie in ihrem Leben gedreht und trotz ihrer Vergangenheit geschafft habe. „Ich bedauere, dass ich so viel gemeinsame Zeit mit ihr verloren habe, aber wir sind alle emotionale Wesen, die sich von Gefühlen wie Angst, Wut und Trauer leiten lassen“, sagt er am Telefon, während er sich auf kleinen Landstraßen der Hauptstadt nähert.
Inzwischen hat Aleks Klarheit darüber gefunden, was er will: Dass er seine täglichen Marathons abspulen wird, daran lässt der gelernte Physiotherapeut keine Zweifel aufkommen. Schließlich hat er schon einmal ein großartiges Projekt gemeistert. In 419 Tagen durchquerte Lingauer im Jahr 2022 13 Länder in Europa zu Fuß. Inklusive Begegnungen mit Straßenhunden und versuchtem Raub in Griechenland. Doch Aleks biss sich durch. Auch als er zurückkam, und die Erfahrung machen musste, dass er im Alltag der anderen mit seiner lebensverändernden Erfahrung allein blieb.
Auch bei seinem jüngsten Projekt zählt am Ende der Geist mehr als die körperliche Fitness, weiß Lingauer. „Ich will den Leuten zeigen“, wozu der Mensch fähig ist, sagt er. Das Laufen ist für ihn spiritueller Akt, die Hatz nach Bestzeiten bei Wettkämpfen interessiert, den 25-Jährigen nicht.
Widerstand überwinden ist attraktiv
„Ich habe einen Vertrag mit mir abgeschlossen, den ich erfülle.“ Am Ende geht es darum, sich abseits von flüchtigen Motivations-Highs einfach nur weiterzubewegen. Egal, ob das Knie schmerzt, oder ob es aus Eimern schüttet. „Einfach machen“, steht denn auch auf Aleks' Laufshirt. Widerstand zu überwinden, das ist es, was den Lauf für ihn attraktiv macht. An die eigenen Grenzen kommen und dann ungerührt noch einen Schritt weiter gehen.
Sein Tagesablauf ist geprägt von Routinen: „Ich stehe auf, esse, laufe los. Dann mache ich eine Pause, trinke, laufe weiter“, erzählt Aleks. Nur mit dem schlechten Wetter im Norden habe er nicht gerechnet. Seine Route hat er abseits von großen Wäldern geplant, die Mücken würden ihn sonst auffressen. „Ich möchte nicht nur von Träumen sprechen“, sagt Aleks. Naja, von einem vielleicht schon: am 30. August wird er in Regensburg an der Theke der Kuchenbar stehen und sagen können: „Der Job ist erledigt“. ■