Jeden Tag 1500 Mal: So oft muss in Berlin ein Rettungswagen der Feuerwehr ausrücken. Allzu oft sinnlos. Denn immer öfter alarmieren Berliner den Rettungsruf 112, ohne dass wirklich ein wichtiger Grund vorliegt. Deshalb wollen die Ärzte, nicht nur in Berlin, den Notruf neu organisieren.
Die Berliner Zeitung hat gerade erst wieder über einen „Gaga-Einsatz“, wie Feuerwehrleute das nennen, berichtet. Am Nachmittag des 5. Januar meldete sich ein Anrufer beim Notruf 112. Der Grund: Ein 22-Jähriger hatte in der Nacht einen erotischen Traum und seitdem, so berichtete er, seien seine Hoden gerötet, er habe starke Schmerzen und leichte Kreislaufprobleme.
Sinnlos-Einsatz der Feuerwehr: Gerötete Hoden sind kein Notfall
Die Feuerwache Hellersdorf wurde alarmiert, zwei Rettungssanitäter sprangen in einen Rettungswagen (RTW) und rasten mit Blaulicht und Martinshorn nach Kaulsdorf. Klingt amüsant, hat aber wichtige Rettungskräfte blockiert, denn ein Notfall hat hier nicht vorgelegen. Ein Feuerwehrsprecher erklärt: „Im Rahmen der Notrufabfrage hat sich aufgrund der geschilderten Symptome mit einhergehenden Kreislaufproblemen der Bedarf ergeben, diesen Einsatz mit einem RTW zu beschicken.“
Ursache für viele Sinnlos-Einsätze ist das sture Befolgen des standardisierten Notrufabfrage-Protokolls. Das gibt dem Kollegen in der Leitstelle zwar Rechtssicherheit bei Entscheidungen, ob ein RTW oder ein Notarzt geschickt werden muss oder ob der Anrufer auf den nächsten Tag, einen Besuch beim Hausarzt, vertröstet werden kann.
Doch die Standardabfragen führen nach Ansicht von Kritikern immer wieder zu „Gaga-Einsätzen“. Gerade wenn die Anrufer dramatisieren und der Mitarbeiter in der Leitstelle unsicher ist. Rettungswagen rückten schon bei einer Nagelbett-Entzündung, bei normalen Bauchschmerzen oder wegen eines verknacksten Fußes aus. Wie die Berliner Zeitung berichtet, ist die Notrufnummer 112 inzwischen für viele so etwas wie eine Kummernummer geworden. Menschen rufen hier an wegen Schlafstörungen, weil sie Hunger haben oder weil ihr Kind bockig ist, wie Feuerwehrleute berichten.
Anruf 116117: So wollen die Ärzte die Notfallversorgung organisieren
Patienten sollen deshalb nach Vorstellungen der Ärzteschaft im Notfall in erster Linie die heutige Bereitschaftsnummer 116117 wählen. Das geht aus einer Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, des Marburger Bunds und des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands hervor, die in Berlin veröffentlicht wurde. Leitstellen der Notrufnummer 112 sowie der 116117 sollten vernetzt und integriert werden. Anrufer sollten eine Ersteinschätzung zu ihrem Anliegen bekommen und dann in eine Notaufnahme, ein Notfallzentrum oder zu einem Arzt geschickt werden.
Wichtig dabei: mehr Geld. „Die Leitstelle muss ohne relevante Wartezeit erreichbar und qualifiziert besetzt sein, um die Hilfesuchenden verbindlich und zeitnah in die geeignete Versorgungsebene und -form zu lenken. Hierzu bedarf es einer Neuaufstellung der benötigten Finanzmittel“, heißt es in der Stellungnahme der Ärzte.
An diesem Dienstag will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seine Vorstellungen für eine Reform der Notfallversorgung vorstellen. Denn Rettungsdienste und Notaufnahmen sind oft überlastet. Viele Patienten suchen Notaufnahmen auf, auch wenn Ärzte sie gar nicht für Notfälle halten. ■