Habt ihr ein Rad ab?

Neue Öffi-Idee: Busse und Bahnen sollen jetzt kommen, wann sie wollen

Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) soll ein neuer Taktlos-Takt eingeführt werden. Warum das für Kunden gar nicht gut ist.

Teilen
Busse könnten in Berlin bald ohne festen Fahrplan unterwegs sein.
Busse könnten in Berlin bald ohne festen Fahrplan unterwegs sein.Jürgen Ritter/imago

Wie krass ist das denn? Busse und Bahnen sollen in Berlin kommen, wann sie wollen. Diese Idee macht gerade bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) die Runde. Da kann man nur fragen: Habt ihr eigentlich ein Rad ab, liebe Leute?

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) planen, noch in diesem Jahr einen Teil ihrer Busse und Bahnen ohne festen Fahrplan durch die Stadt fahren zu lassen. Dieser Versuch wird im Rahmen einer Studie zur Arbeitsbelastung des Fahrpersonals durchgeführt, wie BVG und die Gewerkschaft Verdi jetzt bei der Ankündigung ihrer Tarifeinigung mitteilten. Anstatt einer festen Abfahrtszeit im Fahrplan sollen Fahrgäste während der Hauptverkehrszeiten nur noch die Information erhalten, dass Fahrten alle x Minuten erfolgen.

„Wir wollen dadurch mehr Regelmäßigkeit bei den Fahrten erreichen“, sagte Verdi-Gewerkschaftssekretär Jeremy Arndt, der den Test im Rahmen der Studie für die BVG-Beschäftigten ausgehandelt hat. Wenn ein Bus sich verspäte, sollen die nachfolgenden Busse ihre Taktung beibehalten, damit sie nicht gleichzeitig ankommen, hieß es dazu im Tagesspiegel.

Neuer Taktlos-Takt für Busse und Bahnen nicht auf allen Linien gut

Auf einigen Problemstrecken wie dem M29, M41 oder der Metrotram M10 ist es für Fahrgäste bekannt und ärgerlich, dass lange Zeit keine Fahrzeuge auftauchen und dann plötzlich zwei oder drei gleichzeitig kommen. Dieses Phänomen solle es mit dem neuen Modell nicht mehr geben, erklärte Arndt. Die Busse und Straßenbahnen richten sich nun nicht mehr nach einem festen Fahrplan, sondern orientieren sich am Fahrzeug vor ihnen und halten den vorgegebenen Abstand, je nach Linie etwa alle fünf Minuten.

Wenn ein Bus verspätet ist, werden die nachfolgenden Busse also eine entsprechend längere Pause an der Endhaltestelle einlegen, um im Takt zu bleiben. Für Fahrgäste, die einen Bus oder eine Straßenbahn verpassen, werde es somit zuverlässiger als bisher sein, zu wissen, wann das nächste Fahrzeug komme, erklärte Arndt im Tagesspiegel. Der Gewerkschafter bezeichnete das Vorhaben als „sehr spannendes Projekt“, merkte jedoch an, dass es wahrscheinlich nicht überall im Netz funktioniert. „Meine Vermutung ist, das wird nur für eine gewisse Linienlänge funktionieren.“ Besonders bei sehr langen und anfälligen Strecken sei dies schwieriger.

Taktlos-Takt bei Bussen und Bahnen für Kunden eine Mogelpackung

Welche Strecken für die Umsetzung der Idee vorgesehen sind, konnte die BVG noch nicht mitteilen. Auch insgesamt äußerte sich das Unternehmen zu diesem Thema zurückhaltend. Sie müssten untersuchen, wo die Strecken mit besonders hoher Belastung liegen, und dann gemeinsam entscheiden, sagte Verdi-Vertreter Arndt. Der Start der Studie ist für den 1. Juli 2024 geplant. Dann sollen auch andere Maßnahmen ergriffen werden, um den Fahrern einen stressfreieren Arbeitsalltag zu ermöglichen, wie beispielsweise eine andere Abfolge von freien und Diensttagen. „Da spielen wir verschiedene Modelle durch. Voraussetzung ist, dass es eine Entlastung für die Kollegen gibt“, erklärte Arndt.

Prinzipiell ist es natürlich gut, wenn Fahrerinnen und Fahrer von Bussen und Bahnen nicht mehr auf die Tube drücken müssen, um verlorene Minuten wieder reinzuholen. In Wahrheit – und das verschweigen Verdi und BVG – geht es aber auch um die Frage: Wer entschädigt eigentlich künftig Kunden dafür, dass Öffis immer später kommen? Zumal beim jetzt ausgehandelten neuen Tarifvertrag die Wendezeiten noch einmal erhöht worden sind, bei gleichzeitigem Fahrermangel, womit die Wahrscheinlichkeit von Verspätungen und Ausfällen steigt. In Zukunft dürfte es darum ähnliche Entschädigungsforderungen wie bei der Deutschen Bahn geben. Mit einem taktlosen Takt und einem Öffi-Verkehr ohne festen Fahrplan kann die BVG dieser Diskussion gleich schon einen Riegel vorschieben.

Übrigens: In vielen Bundesländern gibt es eine Mobilitätsgarantie. Bei der BVG in Berlin heißt es dazu bisher: „Solltest du also aus Gründen, die wir zu vertreten haben, um mehr als zwanzig Minuten später dein Ziel erreichen, als der aktuelle Fahrplan vorgibt, erhältst du von uns einen Gratisfahrschein zugesandt. Passiert dies in der Nacht zwischen 23:00-5:00 Uhr und musst du aus diesem Grund ein Taxi rufen, erstatten wir die Kosten hierfür in Höhe von maximal 25 €“.  ■