Christoph Lenz ist einer der letzten Berliner im Team der Eisernen.
Christoph Lenz ist einer der letzten Berliner im Team der Eisernen. imago-images

Dieser Tage hat ein Fan mir ein Mannschaftsbild gezeigt. Es war aufgeblockt, hatte etliche Gebrauchsspuren, stolz aber war der nicht mehr ganz so junge Mann trotzdem auf seine Trophäe. Fast gestreichelt hat er das Bild. Gerettet habe er es aus seiner Eckkneipe in Oberspree, weil die einen anderen Betreiber bekommt und dieses Foto, das dort viele Jahre an der Wand hing, niemandem mehr zu gehören schien. Obwohl das Bild die Mannschaft des 1. FC Union zeigt, wusste der Fan, ein Durch-und-durch-Eiserner, der sich einst die Nina-Hagen-Hymne als Klingelton aufs Handy gebeamt hatte, nicht, um welches Spieljahr es sich handelt. Ich konnte es nur ahnen, doch uns hatte der Ehrgeiz gepackt, wir wollten es genau wissen.

Also gingen wir gemeinsam auf Erkundung. Der Trainer: Werner „Pico“ Voigt. Sein Assistent: Gerhard „Theo“ Körner. Der Zeugwart: Herbert Domschke, damals die gute Seele. Einige Spieler darauf: Lutz „Meter“ Hendel, Olaf Seier, André Hofschneider, der junge Frank Placzek … Auch Jacek Mencel haben wir auf den ersten Blick erkannt. Bei anderen mussten wir länger überlegen. Auf der Trikotbrust aber diese drei Buchstaben: KWO. Spätestens da hatten wir es: Ein paar Monate nur fehlen an 30 Jahren. Leute, wie die Zeit vergeht!

Was wir zugleich festgestellt haben: Unter den Trainern, Betreuern und vor allem auch Spielern von damals sind eine ganze Menge Berliner Jungs. Einige hatten in Köpenick ihre ersten Schritte als Fußball-Steppkes gemacht, etliche waren aus anderen Stadtbezirken gekommen. Aber, und das war neu, es gab mit Jacek Mencel, dem Polen, den ersten ausländischen Spieler. Ihm folgten viele, viele, viele. Sie stammten aus A wie Albanien, von dort kam Erwin Skela, bis Z wie Zambia, von dort hatte Biggie Mbasela den Weg in die Alte Försterei gefunden. Das Alphabet ließe sich auch anhand der Spieler buchstabieren, und zwar so: von Andersson, Sebastian, dem alten Schweden, über Barbarez, Sergej, dem klasse Bosnier, und Coiner, Ryan, dem US-Boy, bis Zoundi, Patrick, dem leichtfüßigen Mittelfeldrenner aus Burkina Faso.

Zeitsprung. Weg von der damaligen drittklassigen Oberliga Nordost hin zur Bundesliga, zum zweiten Spieljahr der Eisernen in Deutschlands Elitespielklasse. Unvermittelt fragte mich der in die Jahre gekommene Fan, ob ich denn aus dem Ärmel schütteln könne, wie viele Berliner, von Köpenickern war nicht einmal die Rede, im aktuellen eisernen Aufgebot stünden. Mein Gesicht muss, nachdem im Sommer mit Ken Reichel und Manuel Schmiedebach zwei Jungs aus der Hauptstadt gegangen sind, einen Moment einem Fragezeichen ziemlich ähnlich gewesen sein.

Von Lennart Moser weiß ich es, weil ich, als er beim Grünauer BC sein Talent entwickelt hat, am Buntzelberg für die dortigen Ü 50-Oldies gekickt habe. Nur: Zählt ein Torhüter, so veranlagt er auch ist, bei der Konkurrenz von Andreas Luthe und Loris Karius überhaupt? Ebenso möchte Tim Maciejewski mit seinen 19 Jahren erst einmal zeigen, dass er einer für die Erste ist. Dafür kommt Christopher Lenz ganz bestimmt in die Wertung, 26 Einsätze in der vorigen Saison qualifizieren ihn als Stamm-Berliner, zumal er in der aktuellen Spielzeit in allen drei bisherigen Liga-Spielen dabei war.

Das ist es dann aber schon mit Herz und Schnauze. So sind, man kann es mögen oder auch nicht, die Entwicklung und die Zeit. Wer wie der 1. FC Union hochhinaus will, zahlt den Preis, dass die Regionalität auf der Strecke bleibt. Zumindest zum großen Teil. Das ist überall so. Man schaue sich nur die Startelf von Paris St. Germain im diesjährigen Champions-League-Finale gegen Bayern München an. Mit Presnel Kimpembe und Kylian Mbappé standen bei PSG, sie müssen sich ziemlich einsam vorgekommen sein, immerhin zwei (!) Franzosen beim Anpfiff auf dem Rasen. In Paris geboren jedoch ist keiner der beiden und beide haben neben der französischen eine zweite Nationalität, Kimpembe die des Kongo, Mbappé die von Kamerun. Nur: Es hat in diesem Finale doch einen an der Seine geborenen Spieler gegeben, Kingsley Coman. Der hat auch noch das einzige Tor erzielt. Der Witz dabei, Coman trägt das Trikot der Bayern.

Mit anderen Worten: Die Eisernen gehen durchaus mit der Zeit. Die Trainer, die, wollten sie ihre Mannschaft mit einem Außenverteidiger, einem Angreifer oder welcher Art von Spieler auch immer verstärken, den aus dem eigenen Nachwuchs beharrlich entwickeln mussten, gehören längst einer vergangenen Generation an. Eines nur hat die Entwicklung hin zur Moderne überdauert, gerade in der Alten Försterei sind die Fans in einer Beziehung im wahrsten Sinne des Wortes „Old School“: Ob die Spieler nun Berliner sind oder nicht und auch wenn sie nicht „Icke“ sagen, Fußball-Götter sind sie trotzdem.