Union-Kolumne

1. FC Union und Steffen Baumgart: Trainersuche mit dem Herzen

Die Eisernen gehen nicht zum ersten Mal mit neuem Coach in ein neues Jahr. Oft war die Lage aber prekärer als jetzt.

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Daumen hoch: Steffen Baumgart als neuer Trainer des 1. FC Union - für viele Fans der Eisernen ist das die Wunsch-Lösung.
Daumen hoch: Steffen Baumgart als neuer Trainer des 1. FC Union - für viele Fans der Eisernen ist das die Wunsch-Lösung.Martin Meissner/AP

Neues Jahr, neues Glück. Darauf hoffen sie beim 1. FC Union nur zu sehr. Zu viel ist schiefgelaufen in den zurückliegenden zwölf Monaten mit dem Tiefpunkt der Entlassung von Bo Svensson, der zweiten eines Trainers innerhalb kurzer Zeit. Eines wird dabei immer deutlicher und macht um die Eisernen keinen Bogen: Geht es ans Eingemachte, springen auch sie nicht über ihren Schatten. Je tiefer sie ins Geschäft eindringen, desto fester lassen sie sich in die Mangel nehmen von einem Umstand, den man floskelhaft nennt: Gesetzmäßigkeit der Branche.

War die bisher vergleichsweise kurze Zugehörigkeit zum Establishment die meiste Zeit mit nur einem Namen verbunden, dem von Urs Fischer, nahmen die Eisernen, was die Kurzlebigkeit ihrer Trainer angeht, der Konkurrenz zuletzt den Vorsprung fast im Galopp. Nach den Fehlversuchen mit Svensson und noch mehr mit Nenad Bjelica soll also Steffen Baumgart, ausgemachter Fan-Liebling, die Köpenicker zurück in die Erfolgsspur bringen. Für viele ist es, als sei es eine Entscheidung nicht allein des Verstandes, sondern viel mehr eine des Herzens. Viel Glück, Baume!

Mal geht es gut und mal in die Hose

Trotzdem zeigt die Erfahrung, dass es gefährlich werden kann, die Pferde (hier: Trainer) im Strom (hier: in der Saison) zu wechseln. Warum? Weil es ohnehin nicht wie am Schnürchen läuft, sonst gäbe es dafür keinen triftigen Grund. Zumindest keinen sportlichen. Es ist nicht das erste Mal, dass die Rot-Weißen mit einem neuen Übungsleiter ins neue Jahr starten. Eine Tendenz ist nicht auszumachen. Mal geht es gut und mal in die Hose.

Steckte von 2002 bis 2004 als Stürmer schon im Trikot des 1. FC Union: Steffen Baumgart.
Steckte von 2002 bis 2004 als Stürmer schon im Trikot des 1. FC Union: Steffen Baumgart.Michael Hanschke/ZB/dpa

Heinz Werner machte 1976, weil der Wiederaufstieg in die Oberliga zum dritten Mal in Folge in Gefahr zu geraten drohte, den Anfang. Er lieferte, stieg mit dem Team um Kapitän Joachim „Bulle“ Sigusch auf, hielt die Klasse und sammelte mit den denkwürdigen 1:0-Siegen gegen den BFC Dynamo vier Zähler und unglaublich viele Sympathiepunkte. Längst Ehrenmitglied, ist der heute 89-Jährige bei Heimspielen noch immer kritischer Beobachter im Stadion An der Alten Försterei. Gerade er wird Baumgart fachlich unter die Lupe nehmen.

Ein Trainer braucht auch Geld und Spieler

Zwölf Jahre später, der 1. FC Union war bei Oberliga-Halbzeit Schlusslicht, übernahm Karsten Heine, unter Heinz Werner Spieler, den Staffelstab. Das Spieljahr endete mit einer der kultigsten Partien, mit dem 3:2 in Karl-Marx-Stadt, mit dem, Sie wissen schon, der liebe Gott ein Unioner geworden ist.

Frank Lieberam (M.) leitete mit Beginn des Jahres 2005 die Eisernen als Trainer an.
Frank Lieberam (M.) leitete mit Beginn des Jahres 2005 die Eisernen als Trainer an.Contrast/imago

Es ging aber auch, in deutlich kritischeren Zeiten, zugegeben, schief. Neben Geld fehlten Ingo Weniger 1998 und Frank Lieberam 2005 auch Spieler, die den Sprung aus der Regionalliga nach oben geschafft hätten. Um Köpenick damals auf die Landkarte des deutschen Fußballs zu bringen, hätte es mindestens magischer Fähigkeiten bedurft. Die sollte man weder von Weniger, der für die Eisernen 86 Erstligaspiele bestritt, noch von Lieberam, 1990 mit Dynamo Dresden Meister und Pokalsieger, erwarten.

Baumgart ist die Lösung für Romantiker

Was diesmal jedoch anders ist und manchen irritiert hat: Land unter ist in Köpenick trotz neun siegloser Pflichtspiele in Folge nicht. Womöglich aber hat nach der Erfahrung aus der Vorsaison die Angst zugenommen, zu spät zu handeln nach dem Motto: Wehret den Anfängen. Eventuell wollten Manager Horst Heldt und Präsident Dirk Zingler auch die Gunst der Stunde nutzen und Baumgart, der zuvor nicht zu haben war, zurück nach Köpenick holen.

Für Romantiker ist Baumgart sowieso die lauschigste aller Lösungen. Bei ihnen gilt: Einmal Unioner, immer Unioner. Aber Vorsicht! Manchmal ist man in diesem Geschäft rasend schnell oben, manchmal aber noch schneller wieder unten. Zwei Entlassungen innerhalb von nicht einmal einem Jahr – Dezember 2023 in Köln, November 2024 in Hamburg – hinterlassen ihre Spuren.

Baume, wie war das noch mal mit dem HSV?

Wohl hat der Publikumsliebling von einst immer gepredigt, dass sein Herz an den Eisernen hängt und Union (s)ein besonderer Verein ist. Dennoch fand er bei seinem Amtsantritt in Hamburg zu der Erkenntnis aus Kinder- und Jugendtagen: Eigentlich war es der HSV schon immer… Andererseits: Was sagt man nicht alles, wenn man glaubt, die Ohren der anderen möchten etwas Spektakuläres hören und man ihnen schmeicheln möchte.

Neues Jahr, neues Glück also. Nur bleibt offen, ob dahinter ein Ausrufe- oder doch lieber ein Fragezeichen stehen sollte. Schlauer ist man sowieso immer erst später. Selbst wenn die Entscheidung eine des Herzens ist.