Union-Kolumne

1. FC Union: DDR-Legende Siegfried Kirschen würde sich im Grab umdrehen!

Der Videobeweis bringt die Köpenicker trotz des Siegs in Frankfurt auf die Palme. Einem ehemaligen Schiedsrichter aus Bad Saarow würde es genau so gehen.

Teilen
DDR-Schiedsrichter-Legende Siegfried Kirschen stellt die belgische Abwehrmauer bei der WM 1990 in Italien.
DDR-Schiedsrichter-Legende Siegfried Kirschen stellt die belgische Abwehrmauer bei der WM 1990 in Italien.imago images

Siegfried Kirschen würde sich im Grabe umdrehen. Nicht einmal auf seine letzten Tage hatte der Referee, neben dem legendären Rudi Glöckner aus Leipzig, der 1970 mit dem Endspiel zwischen Brasilien und Italien als bislang einziger Deutscher ein WM-Finale leitete, der beste Unparteiische in der DDR, seinen Frieden mit dem Videoassistenten gefunden. Vor knapp elf Monaten ist der Mann aus Bad Saarow, der bei zwei Weltmeisterschaften eingesetzt worden war, gestorben. Doch das, was am Sonntag in der letzten Phase beim Spiel des 1. FC Union bei Eintracht Frankfurt und tags zuvor bei anderen Spielen passiert ist, hätte ihn garantiert auf die Palme gebracht.

1. FC Union hat in Frankfurt viel Pech

Anders ausgedrückt: Da sage noch einer, die Männer an der Pfeife und auch die im Keller hätten bei dem Spiel um Tore, Punkte und damit um Millionen keinen Einfluss. Und welchen sie haben. Gerade bei engen Partien, wie sie sich am Main sowie in München und in Leverkusen entwickelt haben und in denen selbst bei genauestem Betrachten trotz vieler Augen nicht jede Entscheidung wasserdicht ist.

Erst einmal zum Spiel der Eisernen am Riederwald und zu jener Szene, die dem Treffer zum vermeintlichen 3:1 vorausgegangen war. Bei der Eroberung des Balles tief in der eigenen Hälfte touchiert der Ball den rechten Arm von Andras Schäfer. Nur, erstens: Wer hat das im Stadion in Echtzeit erkannt? Niemand. Nicht Schiri Frank Willenborg und erst recht keiner der 58.000 Zuschauer. Und, zweitens: Welchen Vorteil hat Schäfer sich verschafft? Keinen. Nicht einmal einen, der im Promillebereich zu messen wäre. Der untrüglichste Beweis, dass alles sportlich abgelaufen ist, ist erfahrungsgemäß der: Nicht ein gegnerischer Spieler hat bei Schäfers Aktion protestiert. Bis das Signal kommt, das man gemeinerweise so deuten könnte: Herr Lehrer, Herr Lehrer, ich weiß was …

Videobeweis: Pseudo-Experten reden viel Käse

Andererseits gilt: Regel ist Regel, völlig klar. Wie oft aber wurde gerade das Handspiel, ob strafbar oder nicht, in der jüngsten Vergangenheit modifiziert? Öfter jedenfalls, als Politiker ihre Meinung zur Schuldenbremse ändern. Eine Garantie dafür, ob die aktuelle Regel über die Saison hinaus Bestand hat, wagt wahrscheinlich niemand zu geben. Vielleicht ist die Zeit nicht weit, dass wir derartige Dinge von Robotern entscheiden lassen. Dann bekommt die Haue wenigstens niemand ab, der eine Seele hat.

Andras Schäfer feiert das Tor zum 2:1 des 1. FC Union bei Eintracht Frankfurt. Wenig später hatte der Mittelfeldmann wegen eines Handspiels nichts zu jubeln.
Andras Schäfer feiert das Tor zum 2:1 des 1. FC Union bei Eintracht Frankfurt. Wenig später hatte der Mittelfeldmann wegen eines Handspiels nichts zu jubeln.Matthias Koch/imago

Was fürs Handspiel gilt, sollte umso mehr fürs Foulspiel gelten. Überall auf dem Feld, erst recht im Strafraum. Auch hier nach dem Grundsatz: Regel ist Regel. Was aber ist da von manchem Pseudo-Experten zu vernehmen: Ein Kontakt war da, für einen Elfmeter aber reicht es nicht. Ausgemachter Käse. Am liebsten würde man sich die Ohren zuhalten. Nichts gegen einen fairen Zweikampf, bei dem auch mal die Schwarte kracht. Aber bei jemandem, der sich in vollem Tempo bewegt, reicht der kleinste Schubser oder Zupfer am Trikot, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das lernt schon ein C-Jugendlicher.

Zweierlei Maß trotz Video-Schiedsrichter

Andererseits gibt es vom vorigen Wochenende zwei Fälle von unterschiedlicher Wahrnehmung, bei denen der Videoassistent viel besser aufgehoben wäre, weil sie den Verlauf oben (München, Leverkusen) und unten (Bochum, nicht gleich Schnappatmung kriegen, Union-Fans, diesmal ist der VfL unschuldig) stark beeinflusst haben. Obwohl Joao Palhinha im Zweikampf klar den Ball spielt und erst danach im Schwung den Bochumer Georgios Masouras oberhalb des Knöchels trifft, wird der Münchner vom Platz gestellt. Ähnliche Szene in Leverkusen, wo der Bremer Mitchell Weiser nicht einmal im Ansatz an den Ball kommt, dafür Florian Wirtz gleichfalls an der empfindlichen Stelle trifft, aber mit Gelb davonkommt. Gleiches Strafmaß? Nicht die Spur! Wenn schon Rot für Palhinha, dann Dunkelrot für Weiser. Zumal, vielleicht sollte man auch das bedenken, Masouras weiterspielen konnte, Wirtz aber Wochen ausfällt.

Für den 1. FC Union ging die Sache mit dem Videoassistenten in Frankfurt noch einmal gut aus. Doch auch als Sieger darf man meckern. Wenigstens gilt man da nicht gleich als beleidigte Leberwurst. Hätte nur gefehlt, dass sich bei Frederik Rönnows Rettung beim Elfmeter – Sie wissen schon, mit einem Fuß muss der Keeper bei Abgabe des Schusses hinter oder auf der Torlinie sein – erneut der Keller gemeldet hätte. Um Himmels Willen! Und im Sinne von Siegfried Kirschen: Lieber nicht auch noch darüber nachdenken … ■