Oscar-Interview mit dem deutschen Star-Regisseur

Wim Wenders: „Der Menschenverstand ist Opfer der Pandemie geworden“

Der deutsche Regisseur Wim Wenders tritt für Japan mit seinem Drama „Perfect Days“ in der Kategorie „Bester Auslandsfilm“ an.

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Der deutsche Regisseur Wim Wenders tritt für Japan mit seinem Drama „Perfect Days“ in der Kategorie Bester Auslandsfilm an.
Der deutsche Regisseur Wim Wenders tritt für Japan mit seinem Drama „Perfect Days“ in der Kategorie Bester Auslandsfilm an.Jordan Strauss/Invision/AP

Er kann bereits drei Oscar-Nominierungen in der Sparte „Beste Dokumentation“ vorweisen. Doch die vierte Nominierung bei den 96. Academy Awards ist für Wim Wenders ein Karrierehöhepunkt. Der deutsche Regisseur tritt für Japan mit seinem Drama „Perfect Days“ in der Kategorie „Bester Auslandsfilm“ an. Der minimalistische Film handelt vom 60-jährigen Toilettenreiniger Hirayama in Tokio, der seine Lebensfreude in simplen, alltäglichen Dingen findet. Im Pressegespräch nach der Premiere in Cannes verriet uns der 78-Jährige, wie er auf die Idee für „Perfect Days“ gekommen war.

Wim Wenders: Ich bekam im Mai 2022 eine Einladung von Koji Yakusho (dem Hauptdarsteller seines Films) nach Tokio, um mir dort diese erstaunlichen öffentlichen Toiletten anzuschauen. Ich kannte einige der Architekten, die diese entworfen hatten, und wollte ursprünglich eine Dokumentation über sie drehen. Das habe ich spontan verworfen.

Berliner KURIER: Warum?

Mein Gefühl live vor Ort war, dass ein fiktiver Film besser darstellen kann, was ich ausdrücken will. Ich wollte unbedingt etwas drehen, was für mich sehr bedeutungsvoll ist.

Warum war Ihnen das so wichtig?

Es war der erste Film, den ich nach der Pandemie gedreht habe. Und ich sah es als einen Neuanfang an.

Was beeindruckt Sie besonders an Japan und den Japanern?

Ich bin ja schon seit Jahrzehnten ein Japan-Fan. Als ich vor Ort war, hatten die Menschen gerade einen fast zweijährigen Covid-Lockdown hinter sich. Und wie sie das gefeiert haben, wie sie ihre Stadt quasi auf wundervolle und zivilisierte Weise neu bevölkert haben, war einfach atemberaubend. Insbesondere verglichen mit meiner Stadt Berlin, wo sich nach dem Lockdown Müllberge in den Parks getürmt haben und du teilweise das Gefühl hattest, der Menschenverstand war Opfer der Pandemie geworden.

Sie sind der erste Nicht-Japaner, der für das Land bei den Oscars antreten darf. Wie haben Sie es geschafft, als Deutscher so perfekt die japanische Kultur darzustellen?

Es war eine Kollaboration mit dem japanischen Drehbuchautoren Takuma Takasaki. Er hat mich in Berlin auf dem Land besucht. Eigentlich nur, um ein paar Ideen für einen Film durchzusprechen. Doch dann haben wir uns hingesetzt und das Drehbuch zu „Perfect Days“ in nur zwei Wochen geschrieben. Wenn etwas gut ist, dann passiert so etwas schnell und furios.

Im Film hört ihr japanischer Kloreiniger Kassetten mit Songs wie „Perfect Day“ von Lou Reed, „Sunny Afternoon“ von The Kinks und selbst „Sleepy“ von den Rolling Stones …

… was alles Lieblingssongs von mir sind. Wobei ich anfangs sehr zögerlich war, diese in den Film zu packen. Es fühlte sich irgendwie wie kulturelle Aneignung an. Aber Takuma hat mich darin bestärkt und mir versichert, dass Japaner 70er- und 80er-Jahre-Rock ebenfalls lieben.

Der Regisseur Wim Wenders und seine Frau Donata Wenders
Der Regisseur Wim Wenders und seine Frau Donata WendersBarbara Munker/dpa

Mit dem langsamen Tempo und dem minimalistischen Ansatz Ihres Films gehen Sie gegen den aktuellen Trend in der Filmbranche.

Ja. Ich finde es enttäuschend, dass die erfolgreichsten Filme heute nur noch Franchise-Streifen sind. Also Filme, die auf anderen Filmen basieren. Aber ich bin und bleibe ein ewiger Optimist, dass es auch anders geht.

Wie sehr hat sich das Filmemachen für Sie verändert?

Am Anfang meiner Karriere habe ich Charaktere in meine Filme eingebaut, die auf merkwürdige Weise meine eigene Suche und Reise im Leben widergespiegelt haben. Wenn du älter wirst, ist dafür nicht mehr so viel Platz, weshalb ich auch so viele Dokumentationen drehe.

„Der Himmel über Berlin“ ist Ihr wohl erfolgreichster Film bislang. Würden Sie eine Fortsetzung in Erwägung ziehen?

Nein, meine Engel sind für immer über dem Himmel von Berlin verschwunden. Wobei es für mich in „Perfect Days“ Parallelen zu dem Gedanken von Engeln gibt. In gewissem Sinne ist Hirayama einer. Für die meisten Leute, die auf die Toiletten kommen, ist er unsichtbar. Aber er wacht über sie.