NDR-Urgestein Carlo von Tiedemann rührt mit seinen inzwischen 81 Jahren an einem großen Tabu, das Millionen Autofahrer in Deutschland betrifft: Er gibt seinen Führerschein ab, freiwillig! Bewogen hat ihn dazu ein Unfall. Der hat ihn zum Nachdenken gebracht, ob es in seinem Alter noch verantwortbar ist, sich ans Steuer zu setzen: „Der Führerschein geht zurück ans Amt. Das war's mit Autofahren!“, sagte Tiedemann der ‚Bild‘.
Der Radio- und Fernsehjournalist rührt mit seiner Entscheidung an einem mehrfachen Tabu: Altersbedingte Ausfallerscheinungen werden nicht systematisch überprüft. Nur, wenn Unfälle eindeutig auf Demenz oder andere Alterssymptome zurückgeführt werden können oder bei einem Medizin-Check beispielsweise signifikante Sichtfeldeinschränkungen auffallen, kann ein Fahrverbot verhängt werden. Vorschläge, die Fitness bei Senioren am Steuer ab einem gewissen Alter regelmäßig zu überprüfen, hatte Bundesverkehrsminister Volker Wissing mit einer bemerkenswerten Begründung abgelehnt: Zwangsuntersuchungen machten„ unsere Gesellschaft unmenschlicher“.
Von Tiedemann gibt Führerschein ab: einige Facebook-User reagieren angefasst
Er traue Älteren zu, diese würden sich„ ohne staatliche Vorgaben und bürokratische Kontrolle mit ihrer Gesundheit auseinandersetzen“. In der Unfallstatistik seien bei über 70-Jährigen „keine signifikanten Zahlen bei schweren Unfällen“ zu sehen. Diese Aussage ist allerdings strittig. Zwar sind Senioren unterdurchschnittlich häufig an Verkehrsunfällen beteiligt – das liegt allerdings auch daran, dass Rentnerinnen und Rentner logischerweise nicht mehr am Berufsverkehr teilnehmen.
Ältere Autofahrerinnen und Autofahrer sind laut Statistischem Bundesamt aber häufig Hauptverursachende von Unfällen. Jeder Dritte Verkehrstote war im Jahr 2021 Seniorin oder Senior. Im Fokus der Unfallforscher sind vor allem über 75-Jährige: Sind diese an einem Unfall beteiligt, werden sie in drei von vier Fällen als Hauptschuldige erfasst.
Nur einige Tausend Senioren entscheiden sich pro Jahr in Deutschland dazu, ihren Führerschein freiwillig abzugeben – die wenigsten davon sind Männer. Gespaltene Reaktionen erntet die Entscheidung von Tiedemanns folglich auf Facebook, die Plattform, die von Älteren besonders häufig genutzt wird. Unverständnis äußert eine Userin: den Führerschein abgeben, warum?„ Ich habe für das Ding genug bezahlt, werde es somit niemals abgeben.“ Ein anderer User kommentiert: „Es gibt über 80 Jähre die genießen ihre Freiheit ein Auto zu fahren sehr gerne und fahren auch sicher.“
Nach Führerschein-Verzicht: So kommt von Tiedemann trotzdem ins Studio
Eine Userin lenkt die Diskussion auf ein heißes Eisen: Auf dem Land gebe es oft keine Alternative zum Auto, weil so gut wie kein Bus fährt. Diesem Problem versuchen regionale Verkehrsunternehmen mit Rufbussen oder Ruftaxis zu begegnen, wie die BVG mit ihrem Muva-Angebot, das jedoch nur in einem sehr eingeschränkten Gebiet am östlichen Stadtrand Berlins verfügbar ist.
Auch von Tiedemann denkt jetzt nicht daran, sich in den Bus zu setzen, vielmehr fährt ihn nun seine Frau Julia zu Radio-Aufzeichnungen. Der Moderator feiert nämlich gerade nach seiner schweren Krankheit und Monaten im Krankenhaus sein Comeback beim Radiosender NDR Schlager.
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