Experten schlagen Alarm

„Der Ossi stirbt aus“: Warum wieder mehr Menschen aus Ostdeutschland abwandern

Vor allem junge Leute, Frauen und Ausländer siedeln in den Westen um. Weil sie glauben, dass sie „ihr Leben hier nicht erfolgreich leben können“.

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Vor allem junge Leute verlassen den Osten Deutschlands.
Vor allem junge Leute verlassen den Osten Deutschlands.photothek/Imago

Die Ost-West-Abwanderung in Deutschland nimmt wieder zu und sorgt bei Experten für große Besorgnis. Besonders dramatisch: Vor allem junge Menschen, Frauen und Ausländer kehren den ostdeutschen Bundesländern den Rücken. Diese Entwicklung wirft dunkle Schatten auf die Zukunft der Region.

Noch vor wenigen Jahren sah es so aus, als hätte Ostdeutschland sein langjähriges Abwanderungsproblem überwunden. Von 2017 an zogen sogar mehr Menschen aus dem Westen in den Osten als umgekehrt. Doch dieser Trend ist nun gebrochen. Im Jahr 2023 verließen rund 88.000 Menschen den Osten und suchten ihr Glück im Westen – das sind 3000 mehr, als aus dem Westen zuzogen.

Die Abwanderung trifft den Osten besonders hart, denn die Region Ost insgesamt kämpft ohnehin mit einer überalterten Bevölkerung. Die Folgen könnten katastrophal sein, warnen Experten wie der Wirtschaftswissenschaftler Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Er spricht gegen dem MDR von einer „dramatischen“ demografischen Situation, insbesondere in den ländlichen Regionen. Dort werde es zunehmend schwieriger, ausreichend Arbeitskräfte zu finden, was zu einem Teufelskreis führen könnte: Ohne Arbeitskräfte schließen Betriebe, und ohne Infrastruktur ziehen noch mehr Menschen weg.

Im Osten wird es zunehmend schwieriger, ausreichend Arbeitskräfte zu finden
Im Osten wird es zunehmend schwieriger, ausreichend Arbeitskräfte zu findenBildFunkMV/Imago

Vor allem junge Menschen und Ausländer verlassen den Osten

Auch der Leipziger Bevölkerungsgeograf Tim Leibert sieht die Entwicklung mit Sorge. Vor allem junge Menschen und Ausländer verlassen den Osten, weil sie dort keine Perspektiven für ein erfolgreiches Leben sehen. Die Berliner Soziologin Katja Salomo erklärt im RBB zudem am Beispiel Brandenburg, dass vor allem junge Frauen wegziehen würden.

„Abwanderung ist eigentlich immer eine Abstimmung mit den Füßen über die wahrgenommene Zukunftsfähigkeit. Offensichtlich sind viele junge Menschen, viele ausländische Staatsangehörige, der Meinung, dass sie ihr Leben in den ostdeutschen Bundesländern nicht erfolgreich leben können.“ Unterm Strich seien das keine guten Signale, sagt Leibert dem MDR. Denn der Osten habe bereits ein Bevölkerungsproblem. Hunderttausende seien nach der Wiedervereinigung gegangen. Deswegen ist die Bevölkerung bereits überdurchschnittlich alt. Salopp zugespitzt formuliert der MDR: „Der Ossi stirbt aus“.

„Ohne eine gezielte Zuwanderung wird der Osten weiter an Attraktivität verlieren“

Ein weiteres Problem ist die hohe Schulabbrecherquote im Osten, die Potenzial verschenkt. Holtemöller glaubt, dass der Fachkräftemangel zumindest teilweise durch mehr Weiterbildung ausgeglichen werden könnte. Doch ohne eine gezielte Zuwanderung und eine offene Willkommenskultur dürfte der Osten weiterhin an Attraktivität verlieren.

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, betont, dass nur Regionen, die neue Menschen willkommen heißen, eine Zukunft haben. „Das kann man politisch nicht verordnen – das liegt an den Menschen vor Ort,“ warnt Schneider. Tatsächlich scheint die Haltung der Bevölkerung eine entscheidende Rolle zu spielen. In Regionen, in denen Neuankömmlinge mit Argwohn betrachtet werden, dürfte es schwerfallen, die demografische Wende zu schaffen.

Die Uhr tickt für Ostdeutschland, und die kommenden Jahre werden entscheidend sein. Ob es gelingt, den Teufelskreis zu durchbrechen und den Osten wieder zu einer attraktiven Heimat für Jung und Alt zu machen, bleibt abzuwarten. Klar ist: Ohne ein Umdenken und gezielte Maßnahmen könnte die Region weiter ausbluten. ■