Eigentlich sollte es ein Grund zur Freude sein aber stattdessen wurde es zum Schockmoment. Am vergangenen Freitag wurden jeweils 75 Gefangene zwischen der Ukraine und Russland ausgetauscht. Die Gefangenen durften nach zum Teil mehr als zwei Jahren Haft nach Hause zurückkehren. Doch die Freude verflog schnell. Die zuständige Organisation erinnern die Bilder an deutsche KZ.
Besonders Fotos des zurückgekehrten Roman Horilyk machten in den sozialen Medien die Runde. Darauf ist der bis auf die Knochen abgemagerte Körper des Mannes zu sehen. „Der Zustand von Roman und anderen ukrainischen Kriegsgefangenen ruft Entsetzen hervor und weckt Assoziationen zu den dunkelsten Seiten der Menschheitsgeschichte - den nationalsozialistischen Vernichtungslagern“, teilte ein Sprecher des ukrainischen Projektes Chotschu Schyt des ukrainischen Staates mit, das sich um Kriegsgefangene kümmert.
Ukrainer kehrt aus russischer Gefangenschaft zurück – und sieht wie KZ-Häftling aus
Horilyk wurde im Austausch gegen russische Kriegsgefangene zurück in die Ukraine gebracht. Der Zivilist war Chef der Kraftwerksmitarbeiter und wurde zusammen mit Soldaten der Nationalgarde bei der Besetzung des Geländes des havarierten Atomkraftwerks Tschernobyl, gefangen genommen. Russland nimmt immer wieder ukrainische Zivilisten gefangen und verschleppt diese in Filtrations- und Straflager.
Laut Berichten von Menschenrechtsorganisationen werden Zivilisten und Kriegsgefangene dort grausam gefoltert, manche mit Elektroschocks und Schläge. Zivilisten, die von den russischen Besatzern inhaftiert wurden, schilderten dem KURIER bereits ihre Erlebnisse. Die russischen Behörden nehmen immer wieder Ukrainer willkürlich fest, denen sie eine Zusammenarbeit mit ukrainischen Behörden oder einfach eine proukrainische Haltung unterstellen. Viele tausend Zivilisten sind bis heute verschwunden.
Die Bilder von Horilyk hält auch Oleksandra Matwijtschuk für glaubhaft. Er ist nicht der erste, der aus russischer Gefangenschaft mit sichtbaren Zeichen von Unterernährung zurückkehrt, sagt die Friedensnobelpreisträgerin und Leiterin des Center for Civil Liberties, das sich um die Fälle von gefangenen Ukrainer kümmert dem Berliner KURIER. „Das lässt sich auch leicht überprüfen“, fügt sie an. „Menschen die wir nach ihrer Freilassung befragt haben, berichten erzählen, dass ihnen sehr wenig und schlechtes Essen essen gegeben wurde.“

Schicksal vieler ukrainischer Gefangener unklar – Russland blockiert
Das Schicksal vieler Gefangener in russischer Haft ist unklar, auch weil Russland kaum Informationen über die Gefangenen herausgibt. So gewähren die russischen Behörden internationalen Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz oder Amnesty International keinen Zugang zu den Gefangenen – anders als die ukrainischen Behörden bei den russischen Kriegsgefangenen. Laut Chotschu Schyt traf auch Roman Horilyk in seiner mehr als zwei Jahre dauernden Haft nicht einmal auf Mitarbeiter von Hilfsorganisation.
Das habe System. „Die unmenschliche Haltung Russlands gegenüber den Ukrainern, die Politik des Völkermords am ukrainischen Volk, soll so vor der ganzen Welt verborgen werden“, schreibt die Organisation.
Noch tausende Gefangene in russischen Straflagern
Laut der Menschenrechtsaktivistin Oleksandra Matwijtschuk wüssten die internationalen Organisationen aber dennoch von den Zuständen in den russischen Strafkolonien. „Der Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen hat davon in einem Bericht geschrieben. Und auch die Experten des OSZE-Büros in Moskau haben einen detaillierten Bericht dazu verfasst“, so Matwijtschuk. „Aber die Situation ändert sich nicht.“
Den russischen Angaben zufolge vermittelten die Vereinigten Arabischen Emirate den Austausch. Diese Rolle hatte der Golfstaat bereits zuvor übernommen. Doch der Austausch ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Laut den Angaben des Menschenrechtsbeauftragten der Ukraine, Dmytro Lubinez, aus dem Dezember vergangenen Jahres, befanden sich zum damaligen Zeitpunkt noch mindestens 28.000 Zivilisten in russischer Gefangenschaft. Hinzu kommen tausende Kriegsgefangene, über deren Zahl beide Seiten jeweils Stillschweigen bewahren.