Zerbricht Israels Kriegskabinett?

Minister droht mit dem Austritt aus der Regierung Netanjahus

800.000 flüchten aus Rafah in Süd-Gaza. In Israel droht derweil ein Minister mit dem Austritt aus der Regierung und stellt Netanjahu ein Ultimatum.

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Ein Lager für vertriebene Palästinenser in der Nähe der Grenze zu Ägypten.
Ein Lager für vertriebene Palästinenser in der Nähe der Grenze zu Ägypten.Omar Ashtawy/APA Images via ZUMA Press Wire/dpa

Seit Beginn des israelischen Militäreinsatzes in Rafah vor knapp zwei Wochen haben nach Angaben des UN-Palästinenserhilfswerks (UNRWA) rund 800.000 Menschen die Stadt im Süden des Gazastreifens verlassen.

Erneut sei fast die Hälfte der Bevölkerung von Rafah auf der Straße, da diese Menschen mit Beginn der israelischen Militäroperation in dem Gebiet am 6. Mai zur Flucht gezwungen worden seien, schrieb UNRWA-Chef Philippe Lazzarini, am Samstagabend auf der Plattform X. In Rafah will die israelische Führung nach eigenen Angaben die letzten der dort vermuteten Bataillone der islamistischen Hamas zerschlagen.

Verbündete wie die USA haben Israel wiederholt vor einem großangelegten Angriff auf die Stadt an der Grenze zu Ägypten gewarnt, weil sich dort Hunderttausende palästinensische Flüchtlinge aufhalten. Israel hält aber an seinen Angriffsplänen für Rafah fest. Dort hatten bis zum Beginn der israelischen Militäroperationen in dem Gebiet rund eine Million Menschen Schutz vor Kämpfen im Rest des Gazastreifens gesucht. Die israelische Armee war vor knapp zwei Wochen von Osten auf die Stadt Rafah vorgerückt und hat dort unter anderem eine Raketenabschussstellung der Islamisten zerstört.

UNRWA-Chef Philippe Lazzarini: „In Gaza gibt es keine sicheren Zonen.“

Lazzarini schrieb weiter, die Menschen hätten auf die israelischen Evakuierungsaufforderungen reagiert und seien in sogenannte „sichere Zonen“ in der Mitte des abgeriegelten Küstenstreifens und nach Chan Junis gegangen. Allerdings gebe es in diesen Gebieten weder eine sichere Wasserversorgung noch sanitäre Einrichtungen. Die Behauptung, die Menschen in Gaza könnten in „sichere“ oder „humanitäre“ Zonen umziehen, sei falsch. „In Gaza gibt es keine sicheren Zonen.“ Er forderte die Konfliktparteien auf, die Weiterleitung humanitärer Hilfe rasch zuzulassen. „Vor allem ist es an der Zeit, sich auf einen Waffenstillstand zu einigen“, sagte er. Israels Regierung kritisiert das UNRWA seit langem scharf und wirft ihm vor, im Gazastreifen von der Hamas unterwandert zu sein.

Unterdessen hat die israelische Armee eigenen Angaben zufolge im Gazastreifen die Leiche einer weiteren Geisel der islamistischen Hamas geborgen. Das teilte Armeesprecher Daniel Hagari am Samstagabend mit. Der Mann sei während des Massakers am 7. Oktober bei einem Kibbuz ermordet, seine Leiche sei in den Gazastreifen verschleppt worden. Bereits am Freitag hatte die Armee mitgeteilt, drei Leichen von Geiseln geborgen zu haben, unter ihnen die der Deutsch-Israelin Shani Louk. Diese drei Opfer waren vor dem Terrorangriff der Hamas auf dem Supernova-Festival in Südisrael gewesen. Die Leiche des Mannes sei zusammen mit diesen drei entdeckt worden, sagte Hagari.

Israel: Minister droht mit Austritt aus Netanjahus Regierung

In Tel Aviv hat Benny Gantz, Minister im israelischen Kriegskabinett, mit dem Austritt aus der von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geführten Regierung gedroht. Lege der Regierungschef nicht bis zum 8. Juni einen Plan für die Nachkriegsordnung im Gazastreifen vor, würden er und weitere Mitglieder seiner Partei „Nationale Union“ das Kabinett verlassen, sagte der Politiker am Samstagabend.

Der 64-jährige Politiker war nach dem Angriff der Hamas und anderer Terrorgruppen als Minister ohne Ressort und Mitglied des Kriegskabinetts in Netanjahus Regierung eingetreten. Damit wollten die Beteiligten ein Zeichen der Geschlossenheit setzen. Die von Gantz geführte Zentrumspartei „Nationale Union“ ist aber in der Opposition. In Meinungsumfragen liegt sie derzeit weit vor Netanjahus Likud-Partei.

Würde Gantz seine Drohung wahr machen, könnte dies eine Regierungskrise auslösen

Gantz sagte Medienberichten zufolge weiter, in letzter Zeit sei etwas schiefgelaufen. Wichtige Entscheidungen der Führung, um den Sieg zu sichern, seien nicht getroffen worden. „Eine kleine Minderheit hat die Kommandobrücke des israelischen Staatsschiffes übernommen und steuert es auf die Klippen zu“, sagte Gantz mit Blick auf Netanjahus rechtsextreme Koalitionspartner, die zuletzt mit dem Ende der Regierung gedroht hatten.  „Persönliche und politische Erwägungen sind in das Allerheiligste der israelischen Sicherheit eingedrungen.“

Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Palästinenserorganisationen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze zum Gazastreifen verübt haben. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive im Hamas-regierten Gazastreifen. Angesichts der vielen zivilen Opfern und der katastrophalen humanitären Lage im Küstengebiet steht Israel massiv in der Kritik.■