Er galt als der wertvollste Spione innerhalb der russischen Geheimdienste seit Menschengedenken: Jetzt ist Oleg Gordijewski, der langjährige Doppelagent des KGB, der nach Großbritannien übergelaufen ist, im Alter von 86 Jahren gestorben.
Über ein Jahrzehnt lang spionierte der hochrangige KGB-Offizier Oleg Gordijewski für den MI6, bevor er der Hinrichtung entging, indem er auf dramatische Weise im Kofferraum eines Autos aus der Sowjetunion geschmuggelt wurde. Er war der ranghöchste KGB-Offizier, der je nach Großbritannien überlief. Sein wichtigster Beitrag bestand darin, Margaret Thatcher und Ronald Reagan vor der Paranoia der sowjetischen Führung zu warnen, zu einer Zeit, als die Welt gefährlich nahe an einen Atomkrieg heranrückte.
Gordijewski geriet erstmals ins Visier des MI6, nachdem ihn der nach Kanada übergelaufene tschechoslowakische Spion Standa Kaplan informiert hatte. Kaplan erwähnte Gordijewski als einen alten Freund aus der KGB-Akademie, wo sie gemeinsam die Richtung des Kremls hinterfragt hatten. Zu dieser Zeit war Gordijewski KGB-Offizier an der sowjetischen Botschaft in Kopenhagen

1972 reagierte er positiv auf vorsichtige Annäherungsversuche von MI6-Offizieren in der dänischen Hauptstadt, nachdem abgehörte Telefongespräche ergeben hatten, dass er in Telefonaten mit seiner Frau in Moskau seine wachsende Besorgnis über das Vorgehen des Kremls geäußert und dabei insbesondere den Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 erwähnt hatte. Nach seiner Rückkehr nach Moskau im Jahr 1974 begann er, für Großbritannien zu spionieren. Er blieb dieser Position treu, als er – zur Freude des britischen Geheimdienstes – 1982 nach London versetzt wurde, wo er schließlich zum KGB- Residenten , dem Leiter der KGB-Station, ernannt wurde.
Oleg Gordijewski: Er spionierte für KGB und MI6
Gordijewski berichtete, wie ein geheimes NATO-Manöver „Able Archer“ Anfang November 1983 in der sowjetischen Führung „Panik“ auslöste und für die Vorbereitung eines tatsächlichen atomaren Angriffs gehalten wurde. Zuvor hatte US-Präsident Ronald Reagan die Sowjetunion als „Reich des Bösen“ bezeichnet und die latente Angst vor einem Angriff des Westens weiter verstärkt.

Der KGB in London wurde beispielsweise angewiesen, zu beobachten, ob Premierministerin Margaret Thatcher öfter als üblich zur Königin in den Buckingham Palast fuhr, ob auf Militarstützpunkten erhöhte Aktivität zu beobachten sei, Lebensmittel-Lager angelegt würden oder in den Büros des Foreign Office länger als gewöhnlich das Licht brannte. Auch der KGB in Washington, Paris und Bonn sei ähnlich aktiv geworden.
Von Gordijewski weitergegebene Informationen führten zur Ausweisung von 25 verdeckt in Großbritannien arbeitenden sowjetischen Agenten. Später bestand Gordiewskis weitere wertvolle Rolle darin, westliche Staats- und Regierungschefs, insbesondere Thatcher, zu versichern, dass der neue sowjetische Präsident Michail Gorbatschow ein ernstzunehmender Reformer sei.
1985 jedoch kamen in der Sowjetunion Verdachtsmomente gegen ihn auf, nachdem Aldrich Ames, ein hochrangiger CIA- Offizier, der für den KGB spionierte , einen Hinweis gegeben hatte. Gordijewski wurde im Mai 1985 zum Verhör nach Moskau zurückbeordert.

Was denn passierte, könnte ein Vorfall direkt aus einem Spionage-Roman sein: In Moskau wurde er in ein KGB-Versteck gebracht, wo er unter Drogen gesetzt und verhört wurde. Obwohl er freigelassen wurde, wusste er, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er erneut verhört werden würde. Nach einem im Voraus ausgearbeiteten Plan des MI6 sollten die MI6-Agenten jeden Dienstag um 19:30 Uhr eine bestimmte Bäckerei in Moskau überwachen. Im Notfall sollte Gordijewski dort erscheinen – mit einer grauen Mütze und einer Plastiktüte mit dem leuchtenden Logo des Supermarkts Safeway.
Oleg Gordijewski: Sein Tod wird nicht als verdächtig eingestuft
Ein MI6-Offizier würde dann an ihm vorbeigehen, während er einen Mars-Riegel oder ein KitKat mampfte – ein Signal, das den Beginn einer Operation mit dem Codenamen Pimlico bestätigte, um ihn aus Russland herauszuschmuggeln. Im Juli 1985 setzte er den Plan in die Tat um, indem er mit seiner Safeway-Tasche die Bäckerei besuchte und am nächsten Tag einen Zug nach Leningrad (heute St. Petersburg) nahm, von wo aus er mit einem weiteren Zug in eine russische Stadt nahe der finnischen Grenze weiterfuhr.
Zwei MI6-Offizieren versteckten Gordijewski schließlich in den Kofferraum eines Fahrzeugs. Nach einem Moment höchster Anspannung ließen sowjetische Grenzsoldaten, deren Hunde durch den Geruch schmutziger Windeln in Gordijewskis Auto abgelenkt waren, die beiden Fahrzeuge mit Diplomatenkennzeichen passieren. Gordijewski kam in Finnland an und wurde über Norwegen nach Großbritannien ausgeflogen. In Moskau wurde er in Abwesenheit wegen Hochverrats zum Tode verurteilt.

Seitdem lebte er unter Polizeischutz in Godalming. Im Jahr 2007 wurde Gordijewski von Queen Elizabeth II. mit dem Companion of the Most Distinguished Order of St. Michael and St. George geehrt. Bei dieser Ehre handelt es sich um denselben Titel, der dem fiktiven britischen Geheimagenten James Bond verliehen wurde.
2008 behauptete Gordijewski, er sei vergiftet worden und habe 34 Stunden im Koma gelegen. Jetzt soll er friedlich in seinem Haus im britischen Surrey eingeschlafen sein. Sein Tod jetzt wird nicht als verdächtig eingestuft. ■