Knappe Entscheidung in Israel

Oberstes Gericht kippt Kern von Netanjahus Justizreform

Mit einer knappen Entscheidung hat Israels Oberstes Gericht ein Kernelement der umstrittenen Justizreform gekippt.

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Knappe Entscheidung gegen Gesetzesänderung: Esther Chajut (M), Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Israels, im Gerichtsaal in Jerusalem.
Knappe Entscheidung gegen Gesetzesänderung: Esther Chajut (M), Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Israels, im Gerichtsaal in Jerusalem.Menahem Kahana/Pool AFP/AP/dpa

Eine knappe Mehrheit von 8 von 15 Obersten Richtern erklärten die Grundgesetzänderung für nichtig. Sie hatte dem Gericht die Möglichkeit genommen, gegen „unangemessene“ Entscheidungen der Regierung, des Ministerpräsidenten oder einzelner Minister vorzugehen.

Kritiker hatten davor gewarnt, dass dies Korruption und die willkürliche Besetzung wichtiger Posten fördern könnte. Monatelang hatte es in Israel Proteste gegen die Gesetzesänderung gegeben.

Als Begründung hieß es in dem Urteil, die Gesetzesänderung hätte „den Kerneigenschaften des Staates Israel als demokratischem Staat schweren und beispiellosen Schaden zugefügt“.

In Israels Geschichte wurde bisher noch nie ein vergleichbares Gesetz vom Obersten Gericht einkassiert. Sollte die rechts-religiöse Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Entscheidung nicht akzeptieren, droht dem Land eine Staatskrise.

Eine Mehrheit von 12 der 15 Richter entschied laut dem am Montag veröffentlichten Urteil ebenfalls, dass das Gericht die Autorität besitze, Grundgesetze zu überprüfen „und in jenen seltenen und extremen Fällen zu intervenieren, in denen das Parlament seine Befugnisse überschreitet“.

Spitzt sich der Konflikt zu, droht eine Staatskrise

Die Regierung hatte die Gesetzesänderung trotz massiven Widerstands im Parlament durchgesetzt. Israels Oberstes Gericht war daraufhin im September zu einer historischen Gerichtsverhandlung zusammengetreten. Erstmals in der Geschichte des Landes kamen alle 15 Richter zusammen, um über acht Petitionen gegen die verabschiedete Grundgesetzänderung zu beraten.

Die von der Regierung seit ihrer Vereidigung vor einem Jahr massiv vorangetriebene Justizreform hatte die israelische Gesellschaft tief gespalten. Über Monate gingen immer wieder Hunderttausende von Menschen auf die Straße, um dagegen zu protestieren. Kritiker stuften das Vorgehen der Regierung als Gefahr für Israels Demokratie ein. Netanjahus Regierung argumentierte dagegen, das Gericht sei in Israel zu mächtig, man wolle lediglich ein Gleichgewicht wiederherstellen. Verhandlungen über einen Kompromiss waren erfolglos geblieben.

War der Dauerstreit ein Grund, dass der geplante Angriff der Hamas nicht entdeckt wurde?

Viele sahen die monatelangen heftigen Streitigkeiten als einen Grund dafür, dass Israel am 7. Oktober von dem verheerenden Angriff der islamistischen Hamas im Grenzgebiet so überrascht werden konnte.

Der israelische Sender N12 hatte einen Entwurf des Urteils des Obersten Gerichts geleakt. Aus formalen Gründen hatte das Gericht bis zum 12. Januar Zeit zur Veröffentlichung seiner Entscheidung. Justizminister Jariv Levin, der als treibende Kraft hinter der Reform gilt, hatte das Gericht dennoch aufgefordert, die Urteilsverkündung bis nach dem Krieg zu verschieben. „Während unsere Soldaten Seite an Seite an verschiedenen Fronten kämpfen, und während die ganze Nation über den Verlust vieler Leben trauert, darf das Volk Israel nicht durch Streitigkeiten zerrissen werden“, argumentierte Levin.

Für Netanjahu ist das Urteil ein weiterer Rückschlag

In Umfragen hatte er seit dem 7. Oktober massiv an Popularität verloren. Viele nehmen ihm übel, dass er bislang keine persönliche Verantwortung dafür eingeräumt hat, dass das Hamas-Massaker am 7. Oktober geschehen konnte.

Die israelische Bewegung für Qualitätsregierung hat nach dem Urteil des Obersten Gerichts von einem „historischen Tag“ gesprochen. „Dies ist ein riesiger öffentlicher Sieg derer, die für Demokratie kämpfen“, hieß es am Montag in einer Stellungnahme der Organisation. Sie hatte eine von insgesamt acht Petitionen gegen die im Juli im Parlament verabschiedete Grundgesetzänderung eingereicht. „Die Regierung und die Minister wollten die Rechtsstaatlichkeit loswerden - und haben die Botschaft erhalten, dass es Richter in Jerusalem gibt.“ Das Urteil sei ein Beweis dafür, „dass die Festung noch steht“.

Wie reagiert die Regierung auf das Urteil?

Unklar ist, wie die Regierung Netanjahu auf das Urteil reagieren wird. In einem Interview des US-Senders CNN im September wollte Netanjahu nicht eindeutig auf die Frage antworten, ob er eine Entscheidung des Gerichts gegen die Gesetzesänderung respektieren würde. Netanjahu sagte damals: „Ich glaube, wir sollten uns an die Urteile des Obersten Gerichts halten und das Oberste Gericht sollte sich an die Grundgesetze halten, die das Parlament verabschiedet.“

Der israelische Parlamentspräsident Amir Ochana hat am Montag dem Obersten Gericht des Landes die Autorität abgesprochen, Grundgesetze für nichtig zu erklären. Dies sei „offensichtlich“, sagt Ochana nach Medienberichte zu einem Urteil des Obersten Gerichts gegen die umstrittene Justizreform im Land. „Noch offensichtlicher ist es, dass wir uns damit nicht befassen können, solange der Krieg auf seinem Höhepunkt ist“, sagte Ochana demnach.