Unfassbares Gesetz

Lehrerin will Schülerin (13) schützen – jetzt droht ihr der Knast

Einer Lehrerin, die sich schützend vor ihre Schülerin stellte, droht eine Gefängnisstrafe. Der Grund ist ein unfassbares Gesetz, das selbst Justizminister nicht verstehen.

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Eine Lehrerin aus dem Westerwald ist angeklagt, weil sie in einem Fall von Kinderpornografie ihre Schülerin schützen wollte. (Symbolbild)
Eine Lehrerin aus dem Westerwald ist angeklagt, weil sie in einem Fall von Kinderpornografie ihre Schülerin schützen wollte. (Symbolbild)Arne Dedert/dpa

Es klingt wie ein schlechter Scherz, ist aber die bittere Wahrheit. Einer Lehrerin aus dem Westerwald, die eigentlich nur einer 13-jährigen Schülerin helfen, sie schützen wollte, droht der Knast. Der Grund ist ein scheinbar absurdes Gesetz, das nun geändert werden soll. Kommt die Gesetzesänderung für sie zu spät?

Was ist passiert? Die damals 13-Jährige hatte von sich intime Aufnahmen gemacht, diese ihrem Freund geschickt. Doch dann passierte, wovor Eltern und Pädagogen warnen, was Kinder und Jugendliche aber oft nicht wahrhaben wollen. Der Junge verbreitet das Video.

Lehrerin beschafft sich Video, um Eltern zu informieren

Als die Lehrerin das mitbekommt, will sie eingreifen, das Mädchen schützen, so gut es noch geht. Sie lässt sich das Video schicken, leitet es ungeöffnet der Mutter der 13-Jährigen weiter, um sie zu informieren. Ein fataler Fehler, wie sich später herausstellen wird.

Was folgt, ist ein Verfahren gegen die heute 43 Jahre alte Lehrerin: Mitte Juli 2023 erhob die Staatsanwaltschaft Koblenz Anklage beim Amtsgericht Montabaur gegen die Frau – weil sie „sich selbst und tatmehrheitlich hierzu einer anderen Person den Besitz eines kinderpornografischen Inhalts“ verschafft haben soll. Dort ist nun auch das Hauptverfahren eröffnet worden – ein Termin stehe aber bisher nicht fest, sagte der Sprecher in Montabaur.

Dabei hatte das Amtsgericht Ende 2023 die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Begründung: Die Tatbestände der Besitzverschaffung seien nicht verwirklicht, weil die Lehrerin „in Erfüllung von dienstlichen und beruflichen Pflichten“ gehandelt habe. Doch gegen den Beschluss legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein, Ende Januar wurde dieser vor dem Landgericht Koblenz aufgehoben.

„Das Landgericht erachtet das Verhalten der Angeschuldigten ebenso wie die Staatsanwaltschaft grundsätzlich für strafbar“, teilte Oberstaatsanwalt Thomas Büttinghaus mit. Und das Landgericht Koblenz schrieb, es sei für die Lehrerin „im Rahmen ihrer pädagogischen Pflichten nicht notwendig“ gewesen, sich das Video zu beschaffen.

Es sind Fälle wie dieser, die den Gesetzgeber – auch nach Kritik aus der Praxis – jüngst zu Änderungen der strafrechtlichen Bestimmungen bewogen haben. Denn seit Sommer 2021 gelten der Besitz und die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte als Verbrechen und werden mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet. Die Staatsanwaltschaften und Gerichte haben derzeit keinen Spielraum, um solche Strafverfahren einzustellen.

Bundeskabinett will Änderungen beim Strafrecht

Auch der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) hatte die Bundesregierung im September 2023 aufgefordert, hier das Strafrecht schnell zu ändern. Anfang Februar beschloss das Bundeskabinett Änderungen für die Fälle, in denen es fraglich sei, ob jemand nicht aus einem eigenen sexuellen Interesse gehandelt habe, sondern um eine weitere Verbreitung oder eine Veröffentlichung solchen Materials zu beenden, zu verhindern oder aufzuklären.

In dem Entwurf heißt es dazu wörtlich: „Besonders häufig sind solche Fälle bei Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrern älterer Kinder oder Jugendlicher aufgetreten, die kinderpornografisches Material bei diesen gefunden und an andere Eltern, Lehrerinnen oder Lehrer oder die Schulleitung weitergeleitet haben, um diese über den Missstand zu informieren.“ Künftig soll das Mindeststrafmaß für die Verbreitung bei sechs Monaten liegen.

Die auf Bundesebene geplante Gesetzesänderung begrüßt Mertin nun ausdrücklich. Die Rückabsenkung der Mindeststrafe in bestimmten Fällen auf weniger als ein Jahr Freiheitsstrafe sei deshalb erforderlich, weil den Staatsanwaltschaften nur dann gewisse Mittel wie die Verfahrenseinstellung zur Verfügung stehen, erklärte der Justizminister auf dpa-Anfrage. Das Absenken der Mindeststrafe ermögliche damit eine angemessene Reaktion auf Fälle, in denen wie bei Lehrkräften in besten Absichten gehandelt werde und welche die zuständige Staatsanwaltschaft daher nicht für strafwürdig hält.

Was die Reform der Reform für den Fall der Lehrerin in Rheinland-Pfalz bedeutet? „Die anvisierte Gesetzesänderung würde zwar bei einer „Herabstufung“ des Straftatbestandes zu einem Vergehen (statt Verbrechen) eine Verfahrenseinstellung auch außerhalb der Hauptverhandlung nicht mehr ausschließen“, teilte Amtsgerichtsdirektor Ralf Tries mit. Diese müsse aber zuvor sorgfältig vom Schöffengericht, der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten geprüft werden.

Kommt Gesetzesänderung für die Lehrerin zu spät?

Oberstaatsanwalt Büttinghaus teilte mit: „Nach Umsetzung der geplanten Reduzierung der Mindeststrafe würde die Staatsanwaltschaft einer dann rechtlich möglichen Verfahrenseinstellung zustimmen.“ Insider geben allerdings zu bedenken, dass ein Freispruch am Ende des Verfahrens für die Frau besser sein könnte, da eine Einstellung eine geringe Schuld voraussetze. Und das könnte wiederum disziplinarrechtliche Folgen für die Lehrerin haben.

Für die Bildungsgewerkschaft GEW ist es deshalb klar: „Ich bin der Meinung, dass man die Kollegin auf jeden Fall freisprechen sollte“, sagte Landeschef Klaus-Peter Hammer der Deutschen Presse-Agentur. Eine andere Entscheidung könnte niemand verstehen. „Ich hoffe auch sehr, dass die Schulaufsicht entsprechend vernünftig reagieren wird.“ Wegen des Falls gebe es eine breite Verunsicherung unter den Lehrkräften. „Deshalb ist es gut, dass nun die Gesetzesänderung kommt.“ Wichtig sei, dass die Lehrkräfte und pädagogisch Handelnden künftig genau wissen, wie sie sich in ähnlichen Fällen verhalten müssen.