In der US-Politik bedeutet ein „Honeymoon“, dass sich Politiker kurz nach dem Antritt über ein kurzes Zwischenhoch bei den Umfragen freuen können. Das passierte auch wie erwartet bei Kamala Harris, nachdem sie nach dem Rückzug von Joe Biden als Präsidentschaftskandidatin übernommen hatte. Zum Unglauben von Donald Trump sind ihre Umfragewerte noch immer nicht gesunken.
Im Gegenteil. Seit der Ernennung von Tim Walz zu ihrem Vize steigen sie weiter stetig an. Es belegt: Harris hat sich das Momentum gegen Trump gesichert. Für den amerikanischen Wahlvorhersagen-Guru Nate Silver, der 2016 den Trump-Sieg richtig vorausgesagt hatte, liegt der Vorteil jetzt bei Harris. Dennoch ist mit einer Sieg-Prognose Vorsicht geboten, da bis zur Wahl am 5. November noch viel passieren kann, was das Rennen erneut auf den Kopf stellt.
Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Trump und Harris
Obwohl Harris auf einer Erfolgswelle schwimmt, steht der Ausgang des Rennens um das Weiße Haus mathematisch auf Messers Schneide. Bei der Berücksichtigung aller Umfragen der letzten 10 Tage beträgt der Vorsprung von Kamala Harris auf Donald Trump winzige 0,5 Prozentpunkte. Und dennoch hat sie in weniger als drei Wochen fast acht Punkte auf Trump (im Vergleich zu Joe Biden) gutgemacht.
Der politisch neutrale „The Cook Political Report“ kassierte seine Prognose eines „wahrscheinlichen Sieges“ für Trump. Stattdessen wurden die drei Swing-State-Bundesstaaten Arizona, Georgia und Nevada aus dem republikanischen Lager zurück in die „völlig offen“-Kategorie gepackt. Nach dem jetzigen Umfragestand würde Trump damit 235 Wahlleutestimmen sicher haben, Harris 226. Damit sind noch 77 Wahlleutestimmen auf dem Weg zu den benötigten 270 zu vergeben.

Dass sie längst noch nicht am Ziel ist, weiß Harris nur zu gut. Anstatt in Trump-Manier mit ihren Umfragewerten zu prahlen, stellt die 50-Jährige sich und Walz (60) bei Wahlkampfauftritten regelmäßig als „Underdogs im Rennen“ hin.
Bei Kamala Harris klingelt die Wahlkampfkasse
Dahinter steckt eine klare Taktik. Die Angst vor einem Trump-Sieg lässt die Wahlkampfkassen klingeln wie nie zuvor. Zudem will das Harris-Team sicher gehen, dass so viel wie möglich demokratische Wähler am Ende motiviert sind, im November ihre Stimme abzugeben. Damit soll das Hillary Clinton-Wahldebakel von 2016 verhindert werden, als einige Demokraten nicht gewählt oder für die Kandidatin der Grünen gestimmt hatten. In dem Glauben, Hillary habe den Sieg sicher in der Tasche.
Trump und J.D. Vance versuchen mit immer schärferen, oft auch persönlichen Attacken das Momentum des Demokraten-Duos wieder an sich reißen. Das Ziel: Harris und Walz als links-progressive Verfechter von „Woke“-Politik hinzustellen und damit die gemäßigten Wähler in den wichtigen Swing States abzuschrecken. Das soll auf der einen Seite mithilfe knallharter TV-Attacken passieren, die Harris als die Verantwortliche für die hohe Zahl an illegalen Einwanderern und die hohe Inflation hinstellen.
TV-Duell zwischen Harris und Trump am 10. September
Auch Walz bekommt bereits sein Fett weg, weil er sich als Gouverneur von Minnesota in der Vergangenheit für Transsexuellen-Rechte eingesetzt und bei seinem militärischen Lebenslauf übertrieben haben soll. Trump hat es zudem zur Chefsache erklärt, den langanhaltenden Harris-Honeymoon endlich zu beenden. Deshalb machte er einen Rückzieher vom Rückzieher und kündigte an, dass er nun doch zur Debatte gegen Harris am 10. September beim Sender ABC erscheinen wird.
Harris sagte am Rande einer Wahlkampftour im Bundesstaat Michigan nach Angaben von mitreisenden Journalisten, sie sei froh, dass Trump einer Debatte am 10. September endlich zugestimmt habe. Sie sei offen dafür, über eine weitere Debatte zu reden. Konkreter wurde sie nicht. Trump sagte weiter, auch eine Debatte der beiden Vizepräsidentenkandidaten, J. D. Vance und Tim Walz, sei geplant. Einen möglichen Termin dafür nannte er nicht.
Ob die Vizepräsidentin ihr Momentum bis zur Öffnung der Wahllokale behalten kann, hängt am Ende hauptsächlich von zwei Faktoren an. Zu einem muss Harris es unbedingt vermeiden, politisch und auch kulturell links-progressiver zu klingen als ihr Boss Biden. Sonst wird sie die wichtigen unabhängigen Wähler und die noch wichtigeren weißen Wählerinnen in den Vorstädten vergraulen. Zum anderen liegt es an Trump, verbale Aussetzer zu vermeiden, die bisher noch unentschlossene Wähler ins Harris-Lager treiben.
Bei seiner Pressekonferenz in Mar-a-Lago griff Trump Harris einmal mehr scharf an, verunglimpfte sie als inkompetent und dumm und sagte unter anderem: „Sie ist nicht klug genug, eine Pressekonferenz zu geben.“ ■