Immer mehr Geschäftsaufgaben: Erst veröden die Läden, dann die Innenstädte
Seit 2015 ist die Zahl der Einzelhandelsgeschäfte um gut 60.000 auf 311.000 gesunken. 2023 wird Deutschland wohl weitere 9000 Läden verlieren, das hat Folgen für die Attraktivität der Innenstädte.

Verschlossene Türen, Schaufenster, die als illegale Plakatwände dienen, abmontierte Leuchtreklamen: In immer mehr Einkaufsstraßen in Deutschland hinterlässt das Ladensterben deutliche Spuren. Und auch die weiteren Aussichten sind eher düster. Allein 2023 werden nach einer am Montag veröffentlichten Prognose des Handelsverbandes Deutschland (HDE) rund 9000 weitere Geschäfte aufgeben.
Oft, weil die sinkende Kaufkraft der Menschen und die steigenden Kosten eine Weiterführung unattraktiv machen. Damit bleiben bundesweit – abgesehen von Kleinstbetrieben – laut HDE noch 311.000 Geschäfte übrig. Zum Vergleich: 2015 waren es noch fast 373.000.
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„Angesichts der Zahlen der letzten Jahre müssen in allen Innenstädten und bei der Politik alle Alarmglocken läuten. Denn ohne erfolgreichen Einzelhandel haben die Stadtzentren kaum Zukunftsperspektiven“, warnte HDE-Präsident Alexander von Preen. „Stirbt der Handel, stirbt die Stadt.“
In der Corona-Zeit stieg die ohnehin hohe Zahl der Geschäftsaufgaben auf mehr als das Doppelte
Tatsache ist: Die Zahl der Läden in Deutschland schrumpft schon seit geraumer Zeit. Besonders stark war der Rückgang in den von der Corona-Pandemie geprägten Jahren 2020 bis 2022, als die Zahl der Geschäfte pro Jahr um 11.000 zurückging. Doch auch in den Vorkrisenjahren 2015 bis 2019 machten jährlich durchschnittlich 5000 Läden dicht.

Die großen Ketten gehen öffentlichkeitswirksam, die kleinen Läden sang- und klanglos
Öffentliche Aufmerksamkeit bekommen dabei vor allem die Filialschließungen bekannter Ketten: die geplante Schließung von 47 Galeria-Karstadt-Kaufhof-Warenhäusern, die Abwickelung zahlreicher Filialen der Schuhhandelskette Görtz oder die angekündigte Verkleinerung des Filialnetzes der Modekette Gerry Weber.
Doch der größte Teil der Schließungen entfällt laut HDE auf kleinere Fachhändler – auf Modeboutiquen, Schuhläden und Bäckereien.
Nicht zuletzt der Online-Handel hat in den vergangenen Jahren die Geschäftsgrundlage verändert. In der Corona-Krise haben sich noch mehr Kunden daran gewöhnt, auch über das Internet einzukaufen.
Es gebe viele mittelständische Händler, die ihre Boutiquen, Schuhläden, Sportfachgeschäfte oder Parfümerien sang- und klanglos abwickelten, sagte kürzlich der HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.
Gleichzeitig dünnten auch viele große Ketten ihre Filialnetze aus. „Das sieht man vielleicht noch nicht in den 1A-Lagen, aber man sieht es in den Stadtbezirken großer Städte, und man sieht es vor allem auch in kleineren und mittleren Städten und Gemeinden.“

In Berlin hat das Überangebot an Ladenflächen in den nahezu 70 Einkaufszentren schon zu diversen Ideen geführt: Das reicht vom Abriss der Dreispitzpassage an der Friedrichstraße oder des Marzahner Tal-Centers zugunsten von Wohnungen über die Modernisierung der Potsdamer Platz-Arkaden bis hin zur Einrichtung von Büros und möblierten (teuren) Appartements anstelle leerer Läden im „Boulevard Berlin“ an der Steglitzer Schloßstraße.
Die Hoffnungsträger sind auch plötzlich in Not
Auch etliche Geschäftsmodelle, die vor kurzem noch angesagt und zukunftsorientiert wirkten, spüren angesichts der sinkenden Kaufkraft vieler Menschen plötzlich Gegenwind. „Bio-Fachgeschäfte und Hofläden stecken zum Teil in einer existenziellen Krise“, sagte kürzlich der Handelsexperte Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Heilbronn. Auch viele Unverpackt-Läden mussten schließen.
Angesichts des Leerstands in vielen Städten drängt der HDE auf ein stärkeres Engagement der Kommunen. Er wünscht sich eine Gründungsoffensive, um das Ladensterben zu stoppen. „Unbürokratische und schnelle Genehmigungsprozesse für Umbauten und Umwidmungen müssen ganz oben auf die Prioritätenliste“, sagte von Preen. Neuansiedlungen und Gründungen bräuchten optimale Bedingungen.
Eine wichtige Rolle könne dabei der Einsatz von Ansiedlungsmanagern in den Kommunen spielen. Es sei im Interesse aller Beteiligten, die Lücken in den Stadtzentren so schnell wie möglich wieder zu schließen. Ansonsten drohe eine Kettenreaktion mit noch mehr Leerständen und einer Spirale nach unten, sagte von Preen.
Dass es mit der Attraktivität vieler Innenstädte schon jetzt nicht mehr zum Besten steht, zeigte Ende vergangenen Jahres eine Befragung von fast 69.000 Menschen in 111 Innenstädten durch das Institut für Handelsforschung (IFH).
In der Hälfte der deutschen Städte würden die Bewohner ihre Innenstadt nicht zum Bummeln und Shoppen empfehlen
Die Antworten auf die Frage: „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie diese Innenstadt Freunden oder Bekannten weiterempfehlen“ waren alarmierend. In rund jeder zweiten Stadt überwog die Zahl derer, die die Innenstadt nicht weiterempfehlen würden.
Nur jede vierte Stadt empfanden die Besucher als so attraktiv, dass sie Freunden zu einem Besuch raten würden. „Fakt ist, dass die Mehrzahl der deutschen Innenstädte mehr Kritiker als überzeugte Fans hat“, sagte IFH-Geschäftsführer Boris Hedde danach.
Nach Einschätzung des Hauptgeschäftsführers des Handelsverbandes Textil Schuhe Lederwaren (BTE), Rolf Pangels, bleibt nur noch wenig Zeit daran etwas zu ändern: „Wenn die Planungspolitik nicht endlich klar und deutlich gegensteuert, wird der weitere Niedergang der Innenstädte nicht mehr aufzuhalten sein.“