Brandmauer gefallen

Ein Wortbruch, der unser Land verändert

CDU-Chef Friedrich Merz hat ein Tabu gebrochen – und damit eine Tür geöffnet, die sich so leicht nicht wieder schließen lässt.

Author - Michael Heun
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Vor der CDU-Zentrale demonstrieren einige Hundert Menschen.
Vor der CDU-Zentrale demonstrieren einige Hundert Menschen.Fabian Sommer/dpa

Es gibt Momente in der politischen Geschichte eines Landes, die eine Zäsur markieren. Die Abstimmung im Bundestag über die Migrationspolitik mit den Stimmen der AfD war ein solcher Moment. CDU-Chef Friedrich Merz hat ein Tabu gebrochen – und damit eine Tür geöffnet, die sich so leicht nicht wieder schließen lässt.

Merz hatte noch im November versichert, dass es „kein einziges Mal“ zu einer CDU-Mehrheit mit der AfD kommen werde. Nun ist genau das eingetreten. Natürlich kann man argumentieren, dass es doch um die Sache ging – um einen Antrag zur Verschärfung der Asylpolitik, der inhaltlich auch von FDP und BSW mitgetragen wird. Doch in der Politik zählen nicht nur Inhalte, sondern auch Signale. Und das Signal dieses Tages ist fatal.

Denn was ist die eigentliche Botschaft? Dass demokratische Parteien bereit sind, Mehrheiten mit der AfD in Kauf zu nehmen, wenn es ihnen opportun erscheint. Dass Prinzipien flexibel sind, wenn es um politische Erfolge geht. Dass ein Unionskanzlerkandidat sich erst von der AfD abgrenzt – und dann mit ihrer Unterstützung Gesetze durchsetzt.  Oder kurz: Dass ein Wort nichts zählt. Die AfD konnte sich nie so mächtig fühlen wie in dieser Woche.

Vielen macht der politische Tag von heute Angst.
Vielen macht der politische Tag von heute Angst.Christoph Soeder/dpa

Der Schaden für das demokratische System

Schon jetzt sind die Folgen sichtbar. Vor der CDU-Zentrale in Berlin demonstrieren am Abend Hunderte – und zeigen die Dimension der gesellschaftlichen Spaltung. Während SPD und Grüne entsetzt sind, herrscht bei der CDU scheinbar ungläubiges Staunen. Friedrich Merz sah sich sogar gezwungen, sich im Bundestag für seine eigene Mehrheit zu entschuldigen. Der einzige Jubel kam – wie zu erwarten – von der AfD.

Wer die Tür zur Zusammenarbeit auch nur einen Spalt weit aufmacht, muss befürchten, dass sie irgendwann kraftvoll aufgestoßen wird. In den kommenden Monaten und Jahren wird sich zeigen, ob dieser Tabubruch eine Ausnahme bleibt – oder ob die Union die Tür weiter öffnet. Die AfD wird darauf spekulieren, dass es nicht bei diesem einen Mal bleibt. Und was bedeutet das für Menschen mit Migrationshintergrund? Für sie ist die Botschaft klar: Eine Partei, die sie seit Jahren als „Problem“ betrachtet, rückt der Macht ein Stück näher. Ihre Angst wächst. Zu Recht.

Friedrich Merz nach der Abstimmung: Es tut mir leid.
Friedrich Merz nach der Abstimmung: Es tut mir leid.Michael Kappeler/dpa

Wie konnte es so weit kommen?

Die Verantwortung für diese Eskalation tragen jedoch nicht nur Merz und die CDU. Auch die Ampel-Koalition hat es in den vergangenen Jahren versäumt, eine gemeinsame Migrationspolitik mit der Union zu entwickeln. Die Diskussionen sind geprägt von gegenseitiger Verachtung und Grabenkämpfen, statt von ernsthaften Lösungsversuchen. In dieser Atmosphäre konnte die AfD wachsen – und nun den Moment nutzen, um sich als Mehrheitsbeschafferin für CDU und CSU zu inszenieren.

Es ist ein gefährliches Spiel, das hier gespielt wird. Bewerten müssen das irgendwann Historiker. Aber zu befürchten ist, dass wir heute nicht nur eine taktische Eintagsfliege erlebt haben. ■