„Alle Männer ab 16 Jahre heben die Hände und verlassen das Gebäude“, tönt es aus einem Lautsprecher durch das Al-Schifa-Krankenhaus in der Stadt Gaza. Auf Arabisch mit hebräischem Akzent befiehlt ein israelischer Soldat den Palästinensern, in den Innenhof zu kommen und sich zu ergeben. Nach tagelangen Kämpfen mit der islamistischen Hamas rund um das größte Krankenhaus im Gazastreifen stürmt die israelische Armee in der Nacht die Klinik. Ein AFP-Journalist war dabei.
Zum Teil vermummte Soldaten schießen in die Luft. Hunderte Jugendliche folgen der Aufforderung und eilen mit erhobenen Händen von den Krankenstationen des riesigen Komplexes in den Hof. Die jungen Männer kommen aus der Abteilung für Verbrennungen, der Entbindungsstation, die vor kurzem beschossen wurde, der Chirurgie und der Dialyseabteilung. Etwa tausend stehen am Morgen mit in die Luft gereckten Armen auf dem großen Platz am Krankenhaus. Manche von ihnen sind nackt, die Soldaten haben sie auf der Suche nach Waffen und Sprengstoff ausgezogen.

Immer wieder geben Soldaten Warnschüsse ab
Drinnen gehen Soldaten von Raum zu Raum, offenbar um Hamas-Kämpfer aufzuspüren. Immer wieder geben sie Warnschüsse ab. Die Soldaten durchsuchen auch Frauen, Kinder weinen. Manche müssen durch Terminals mit Erkennungskameras – den gleichen, wie sie entlang der Evakuierungskorridore in den südlichen Gazastreifen aufgestellt wurden.
Seit Tagen konzentrierten sich die Kämpfe zwischen den israelischen Bodentruppen und der Hamas rund um den Klinikkomplex im Westen der Stadt Gaza. Am Mittwoch rollten dann mehrere Panzer auch auf das Krankenhausgelände und Soldaten drangen unter anderem in die Notaufnahme ein.
Nach UN-Angaben befinden sich mindestens 2300 Patienten, Mitarbeiter und vertriebene Zivilisten im Al-Schifa-Krankenhaus, das Gesundheitsministerium der Hamas spricht sogar von 20.000 Menschen, darunter tausende Verletzte. Zeugen beschreiben die Zustände in der Klinik als katastrophal: Medizinische Eingriffe ohne Betäubung, Familien, die hungernd und durstend in den Gängen hausen, in der Luft der Gestank verwesender Leichen.

„Präzise und gezielte Operation gegen die Hamas“
Die israelische Armee nennt die Erstürmung eine „präzise und gezielte Operation gegen die Hamas in einem bestimmten Bereich“ des Krankenhauses. Das Militär erklärte, es habe während des Einsatzes Brutkästen, Babynahrung und medizinische Hilfsgüter in das Krankenhaus geliefert.
Nach israelischen Angaben unterhält die Hamas in Tunneln unter der Klinik eine Kommandozentrale, die USA teilen diese Einschätzung. Seit Jahren beschuldigt Israel die radikalislamische Palästinenserorganisation, die Krankenhäuser im Gazastreifen als Stützpunkte zu nutzen, ein Tunnelnetz unter Al-Schifa gegraben zu haben und die Patienten als „menschliche Schutzschilde“ zu missbrauchen.
Israel sieht keinen Verstoß gegen das Völkerrecht
Während die Vereinten Nationen, internationale Nichtregierungsornaisationen und die Weltgesundheitsorganisation jeden Tag wiederholen, dass ein Krankenhaus „niemals angegriffen werden darf“, sieht Israel in der Erstürmung der Al-Schifa-Klinik keinen Verstoß gegen das Völkerrecht. Die Hamas spricht von einem „Kriegsverbrechen und einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
Hunderte Kämpfer der Hamas waren am 7. Oktober nach Israel eingedrungen und hatten Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt. Israelischen Angaben zufolge wurden etwa 1200 Menschen in Israel getötet und rund 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Seitdem greift das israelische Militär Ziele im Gazastreifen an, seit Ende Oktober kämpfen auch Bodentruppen in dem Palästinensergebiet. Nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden im Gazastreifen bislang mehr als 11.300 Menschen getötet.