Beleidigt, bedroht, geschlagen

Wut statt Wertschätzung: Wenn Patienten ausrasten – Ärzte und Pfleger am Limit

Beschimpfungen, Drohungen, Faustschläge – was früher die Ausnahme war, ist heute Alltag in deutschen Praxen und Kliniken.

Author - Berliner KURIER
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Auch Pflegekräfte werden immer öfter attackiert.
Auch Pflegekräfte werden immer öfter attackiert.Werner Krueper/imago

Beleidigt, bedroht, geschlagen – so sieht für viele Ärztinnen, Pfleger und medizinische Fachangestellte inzwischen der Arbeitsalltag aus. Laut einer aktuellen Yougov-Umfrage im Auftrag des Ärzteportals Doctolib haben 75 Prozent der Befragten im vergangenen Jahr mindestens einmal Gewalt oder heftige Konflikte erlebt. Und die Folgen gehen tief.

Angst, Wut, Erschöpfung – und bei vielen der Gedanke, dem Beruf ganz den Rücken zu kehren. Das ist die Stimmung beim medizinischen Personal in Deutschland. Am häufigsten schlagen die Patienten mit Worten zu.

Zwei Drittel der Befragten berichteten von Beleidigungen oder aggressivem Verhalten. 38 Prozent wurden bedroht, jede vierte Fachkraft sogar körperlich attackiert. Besonders hart trifft es Jüngere – sie zweifeln nach Übergriffen doppelt so oft an ihrer Berufswahl wie Kolleginnen und Kollegen über 55.

Der Frust über den fehlenden Respekt sitzt tief. Zwei Drittel der Befragten gaben zudem an, wütend über die zunehmende Aggression zu sein. Männer leiden laut Umfrage besonders unter Angst und Unsicherheit im Job und denken häufiger über einen Ausstieg nach.

Ein Pfleger liegt in einer Berliner Klinik am Boden, er wurde brutal niedergeschlagen.
Ein Pfleger liegt in einer Berliner Klinik am Boden, er wurde brutal niedergeschlagen.zVg

Als Hauptursachen sehen viele Beschäftigte die steigende Ungeduld von Patienten: Fast die Hälfte macht Halbwissen und falsche Erwartungen verantwortlich, ähnlich viele nennen überlange Wartezeiten oder Terminprobleme. In Kliniken wird zudem die Überforderung der Patienten mit ihrer Krankheit als zentraler Auslöser genannt.

Bis zu 200.000 Behandlungsfehler jedes Jahr

Die Bundesregierung will nun handeln – mit einem Gesetz zum besseren Schutz von Gesundheitskräften. Doch die Branche fordert mehr: Sicherheitsdienste in Praxen und Kliniken, Aufklärung über respektvolles Verhalten und psychologische Hilfe nach Gewalterlebnissen.

Immer mehr Fälle von Gewalt gegen Ärzte und Pfleger werden aktenkundig.
Immer mehr Fälle von Gewalt gegen Ärzte und Pfleger werden aktenkundig.Sascha Steinach/imago

Dass Menschen möglicherweise auch austicken, weil sie sich schlecht behandelt fühlen, spielt in der Umfrage allerdings keine Rolle –, was erstaunlich ist bei dem wirtschaftlichen Druck, unter dem das Gesundheitssystem in Deutschland mittlerweile steht.

Schätzungen zufolge ereignen sich in Deutschland jedes Jahr zwischen 100.000 und 200.000 Behandlungsfehler, die 168.000 bis 170.000 Patienten betreffen. Laut Experten liegt die Zahl der vermeidbaren, fehlerbedingten oder vorsätzlich herbeigeführten Todesfälle bei etwa 17.000 pro Jahr. Die genaue Anzahl ist aber schwer zu ermitteln, weil die Dunkelziffer hoch ist und es kein zentrales Register gibt. (mit afp)