Sein eigenes Kind sterben zu sehen, ist der Albtraum jeder Mutter. Kathleen Folbigg musste das gleich viermal erleben. Zwei Mädchen und zwei Jungen musste sie im Babyalter zu Grabe tragen. Doch statt sie in ihrer Trauer zu unterstützen, bezichtigte man Kathleen Folbigg des Mordes. Als „schlimmste Serienmörderin Australiens“ wurde die Frau betitelt. Immer wieder beteuerte sie ihre Schuld. Doch niemand glaubte ihr. 2003 wurde sie für schuldig befunden, ihre vier Kinder getötet zu haben. Folbigg wurde zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt und wäre frühestens 2028 freigekommen. Nun, nach 20 Jahren hat ein Gericht ihre Verurteilung aufgehoben.
Die heute 55-Jährige, die einst als „Australiens schlimmste Serienmörderin“ bezeichnet worden war, war bereits im Juni begnadigt und aus der Haft entlassen worden. Vor dem Gerichtsgebäude in Sydney sagte Kathleen Folbigg jetzt, sie sei dankbar für die moderne Wissenschaft und Genetik, die nun Antworten auf die Frage gegeben hätten, wie ihre Kinder gestorben seien. „Allerdings hatten wir selbst 1999 juristische Antworten, um meine Unschuld zu beweisen. Aber sie wurden ignoriert und abgetan.“
Kathleen Folbigg hatte immer ihre Unschuld beteuert
Caleb, Patrick, Sarah und Laura waren alle über einen Zeitraum von zehn Jahren (1989–1999) im Alter zwischen 19 Tagen und 19 Monaten plötzlich gestorben. „Ich habe es noch nie erlebt, dass vier Kinder in derselben Familie an plötzlichem Kindstod gestorben sind“, gab ein Gerichtsmediziner während des Prozesses zu Protokoll.

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse hätten nun aber ergeben, dass die zwei Jungen und zwei Mädchen möglicherweise eines natürlichen Todes gestorben seien, wie die Verurteilte behauptet hatte, sagte der Generalstaatsanwalt des Bundesstaates New South Wales, Michael Daley. Folbiggs Anwältin Rhanee Rego sagte in der Folge, ihrer Mandantin stehe nun „bedeutender“ Schadenersatz zu.
Seltene genetische Mutation vererbt
Eine neue Untersuchung war eingeleitet worden, nachdem festgestellt wurde, dass die Frau ihren beiden Töchtern eine seltene genetische Mutation vererbt hatte. Diese kann zu Herzrhythmusstörungen und zum plötzlichen Tod führen. Fast 100 Wissenschaftler und Ärzte hatten sich daraufhin mit einer Petition dafür eingesetzt, den Fall neu aufzurollen, und darin mögliche medizinische Gründe für jeden der vier Todesfälle aufgeführt.
Der frühere Oberste Richter, Tom Bathurst, der die Untersuchung leitete, erklärte: „Ich bin zu der festen Überzeugung gelangt, dass begründete Zweifel an der Schuld von Frau Folbigg für jede der Straftaten bestehen, wegen der sie ursprünglich angeklagt wurde.“ So soll einer der Söhne möglicherweise an einer neurogenetischen Erkrankung wie Epilepsie gestorben sein.

Bei dem ursprünglichen Prozess handelte es sich um ein reines Indizienverfahren, bei dem sich die befragten Experten nicht einig waren. Die Anklage hielt es damals für unwahrscheinlich, dass gleich vier Kinder eines natürlichen Todes starben. Tagebucheinträge der Mutter, die als Schuldeingeständnis gewertet wurden, seien wahrscheinlich der Trauer und Verzweiflung der Frau geschuldet gewesen, hieß es nun.
Als Beweis für Folbiggs Schuld galten diese Tagebucheinträge, die ihr Ehemann dem Gericht zugänglich gemacht hatte. „Bei ihr wollte ich einfach nur, dass sie still war. Und eines Tages war sie es“, schrieb die vierfache Mutter über ihre Tochter Sarah, die 1993 mit 10 Monaten in der Wiege gestorben war. Oder: „Was mich am meisten erschreckt, ist die Vorstellung, allein mit meinem Baby zu sein.“ Oder, über ihr viertes Baby: „Ich weiß, dass mit ihr alles in Ordnung ist.“ Über die drei bereits verstorbenen Kleinkinder fügte sie hinzu: „Es war meine Schuld, nicht ihre.“
Es ist, als wäre Folbigg eine Figur aus einer griechischen Tragödie. Im Januar 1969, Kathleen ist gerade 18 Monate alt, wird ihre Mutter mit 24 Messerstichen ermordet. Der Täter ist Kathleens Vater. ■