Video-Reportage

Rickard (23) erzählt: So funktioniert die Dienstpflicht in Schweden

Deutschland debattiert über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht – und schaut auch nach Schweden.  Rickard Olofsson aus Vårgårda erzählt, wie der Dienst ihn prägte.

Author - Veronika Hohenstein
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Rickard Olofsson (23) aus dem schwedischen Ort Vårgårda, teilt seine Erfahrungen und Erlebnisse mit der schwedischen Wehrpflicht.
Rickard Olofsson (23) aus dem schwedischen Ort Vårgårda, teilt seine Erfahrungen und Erlebnisse mit der schwedischen Wehrpflicht.Privat

Es sind unruhige Zeiten und die Diskussion über eine Wiedereinführung eines allgemeinen Dienstes bei der Bundeswehr oder entsprechenden Zivilorganisationen wird ständig neu entfacht. Bei der Debatte über die Wiedereinführung wird auch auf Nachbarländer geschaut, unter anderem auf das Wehrpflichtmodell in Schweden. Aber: Wie funktioniert es in dem skandinavischen Land? Rickard Olofsson (23) aus dem schwedischen Ort Vårgårda berichtet im KURIER, wie er den Wehrdienst erlebte.

Wehrpflicht nach schwedischem Modell: So funktioniert die allgemeine Dienstpflicht

„Ich sah die Wehrpflicht als eine gute Schule für das Leben, eine gute Erfahrung“, erklärt Rickard im Gespräch mit dem KURIER. Schweden führte ab 2017 die Wehrpflicht größtenteils wieder ein, nachdem sie 2010 abgeschafft wurde. Junge Erwachsene des Jahrgangs  1999 und späterer – Frauen wie Männer – wurden und werden also wieder gemustert. Wie Rickard, der im Jahr 2000 geboren wurde. Basierend auf Eignung und Motivation erfolgt dann die Zuweisung zum Truppendienst oder auch anderen zivilen Diensten.

Aufgrund der veränderten Sicherheitslage lässt Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Modelle einer Dienstpflicht prüfen – und dabei auch das schwedische Wehrpflichtmodell, welches auf drei verschiedenen Aufgaben des schwedischen Gesamtverteidigungsdienstes beruht. Neben der Einberufung in die Bundeswehr gibt es die Zivilpflicht, darunter fallen zum Beispiel Aufgaben im Rahmen kommunaler Rettungsdienste. Unter allgemeiner Dienstpflicht versteht man Tätigkeiten in Bereichen, die auch in Krisen- und Kriegszeiten funktionieren müssen. Die „Värnplikt“ (Wehrpflicht) ist laut schwedischem Militär entscheidend für die Aufrechterhaltung und Entwicklung der militärischen Fähigkeiten Schwedens. 2023 wurden laut einem Bericht insgesamt 7310 junge Menschen zur Grundausbildung eingezogen.

Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), schlägt vor, dass die Wehrpflicht in ein Gesellschaftsjahr nach schwedischem Vorbild eingebettet werden könnte.
Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), schlägt vor, dass die Wehrpflicht in ein Gesellschaftsjahr nach schwedischem Vorbild eingebettet werden könnte.Lars Klemmer/dpa

Bei der Musterung werden die jungen Menschen zwei Tage lang physisch und psychisch getestet

„Ich kann mich gut dran erinnern, als ich den Brief bekam, in dem ich zur Musterung gebeten wurde. Ich war noch in der Schule“, sagt Rickard. Online füllte er den Fragebogen aus. „Ich war gesund und hoffte, dass ich gut genug sein würde für Lumpen.“ Lumpen ist in Schweden ein alter Begriff für die Grundausbildung beim Militär. Rickard erzählt, dass er bei der zwei Tage langen Musterung psychisch und physisch getestet wurde.

Eva Högl (SPD), Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, über die Einführung eines allgemeinen Dienstes in Deutschland. „Das Thema gehört in den Bundestag und in die Mitte unserer Gesellschaft.“
Eva Högl (SPD), Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, über die Einführung eines allgemeinen Dienstes in Deutschland. „Das Thema gehört in den Bundestag und in die Mitte unserer Gesellschaft.“Sina Schuldt/dpa

Ob das bald auch jungen Menschen in Deutschland blüht? Unklar. Auch die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, betonte kürzlich, wie wichtig es sei, in Deutschland wieder über eine Dienstpflicht zu diskutieren. „Das Thema gehört in den Bundestag und in die Mitte unserer Gesellschaft“, schrieb die SPD-Politikerin in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenportal Table Media. „Ich bin überzeugt, dass sich jede und jeder eine Zeit lang für unsere Gesellschaft engagieren sollte.“ Wenn alle jungen Menschen Post von der Bundeswehr bekämen, würde sich jede und jeder aktiv damit auseinandersetzen. 

Wehrpflicht in Schweden: Heimweh, Freundschaft, Liebeskummer und harte Übungsmanöver

Auch in Schweden sorgte die Wiedereinführung der Dienstpflicht für Diskussionen. Nicht nur politisch, sondern auch in vielen Familien. Auch bei Rickard, der glücklich war, seine Grundausbildung antreten zu können. „Ich kann mich dran erinnern, dass meine Familie sich für mich freute, aber sich auch Sorgen machte“, sagt er dem KURIER. Die Dauer der Ausbildung liegt zwischen neun und 15 Monaten. Erst machte er noch sein Abitur, erlebte einen schönen Sommer und verbrachte viel Zeit mit seiner Freundin.

Rickard Olofsson (23) aus Schweden: „Ich will nicht in den Krieg ziehen müssen.“
Rickard Olofsson (23) aus Schweden: „Ich will nicht in den Krieg ziehen müssen.“Privat

Am Ende des Sommers 2018 besuchte Rickard seine zukünftige Station. „Da machte ich mir zum ersten Mal dann auch Sorgen. Hier wurde mir bewusst, dass es nicht einfach sein wird.“ Die jungen Erwachsenen des Jahrgangs 1999, die gerade Wehrpflicht hatten, erzählten bereits von Heimweh, Freundschaft, Liebeskummer und harten Manövern. Auf die Frage, ob er Angst hatte, lacht Rickard. „Machst du Witze? Ich machte mir riesige Sorgen, auch dass meine damalige Freundin und ich es nicht schaffen würden, ein Paar zu bleiben.“ Ihre Liebe überstand die Zeit beim Militär tatsächlich nicht.

Wie hart war die Zeit beim Militär? „Ich will nicht in den Krieg ziehen müssen.“

Im September ging es für Rickard endgültig los: Er beschreibt seine Zeit im Dienst als eine Mischung aus neuen Erfahrungen, Heimweh und als großen Kontrast zur Schule. „Es gab wenig Mitgefühl, stattdessen musste man halt funktionieren. Es war hart. Man lebte mehr von Tag zu Tag“, erzählt er. „Die Leute zu Hause können es sich eigentlich nicht richtig vorstellen, was ich alles durchgemacht habe, aber auch, was ich erleben durfte. Dort war ich jemand anderes … und ich wusste, selbst wenn ich es ihnen alles erzähle, würden sie es nicht wirklich verstehen können.“

Rückblickend ist Rickard aber dankbar für die Erfahrungen, die er sammeln konnte. „Ich habe gelernt, für mich einzustehen, das war eine persönliche Weiterentwicklung.“ Auf die Frage, ob er seinen Wehrdienst noch einmal machen würde, antwortet Rickard jedoch entschieden: „Nein, ich habe Albträume davon, wirklich in den Krieg ziehen zu müssen. Das macht mich fertig.“ Heute, als Reservist, betrachtet er seine Erfahrungen als eine Art Schule, die ihn gelehrt hat, diszipliniert und belastbar zu sein. „Hätte ich heute die Chance bekommen, nein zu sagen, hätte ich das getan. Die Erfahrungen will ich schon gerne haben, aber ich will nicht in den Krieg ziehen müssen.“ ■