Fall in Sachsen-Anhalt

Standesamt lässt Kathrin und Klaus-Dieter nicht heiraten

Zwei Menschen mit Behinderung lieben sich, leben zusammen und wollten heiraten. Doch man ließ sie nicht. Sie kämpften um ihr Glück – und sind nun endlich ein Ehepaar.

Author - Berliner KURIER
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Nach fast zwei Jahren sind sie nun endlich ein Ehepaar: Kathrin Pollnow (61) und Klaus-Dieter Rose (44) vor dem Standesamt in Oschersleben (Sachsen-Anhalt).
Nach fast zwei Jahren sind sie nun endlich ein Ehepaar: Kathrin Pollnow (61) und Klaus-Dieter Rose (44) vor dem Standesamt in Oschersleben (Sachsen-Anhalt).Simon Kremer/dpa

Als Kathrin Pollnow und Klaus-Dieter Rose ihr Aufgebot ins Standesamt in Oschersleben (Sachsen-Anhalt) bestellen, glauben sie, bald verheiratet zu sein. Ein Paar sind sie schon lange. Doch man verweigert ihnen die Eheschließung. Weil Kathrin und Klaus-Dieter geistig behindert sind. Sie mussten lange um ihr Glück kämpfen.

In nicht einmal zehn Minuten ist vorbei, worauf sie 885 Tage gewartet haben. Keine großen Worte des Standesbeamten. Als sie den Raum im Rathaus betreten, läuft leise Andy Borg: „Die berühmten drei Worte“. „Und klingt’s auch etwas pathetisch, ich mein’ es so, wie ich’s sag.“ Die Papiere sind vorbereitet. Die Unterschriften leisten Kathrin Pollnow und Klaus-Dieter Rose selbst.

Um kurz nach 11 Uhr am 9. August 2025 sind die beiden endlich verheiratet. Vor ihnen, auf einem hellen Holzstück in Herzform, liegen die Ringe, hinter ihnen eine lange juristische Auseinandersetzung.

Behörde zweifelt, ob das Paar versteht, was Ehe bedeutet

Rund 15 Jahre kannten sich Pollnow und Rose schon, als sie im März 2023 beim Standesamt vorstellig wurden, weil sie ihre Liebe mit Trauringen besiegeln wollten. Aber nur wenige Tage später kam die Ablehnung der Amtshandlung, wie es bürokratisch heißt. Wegen fehlender Geschäftsfähigkeit könnten die beiden nicht heiraten.

Ein ziemlich einmaliger Vorgang. Es sei dabei um die Frage gegangen, ob sich die beiden der Tragweite einer Ehe bewusst seien, erzählt Annett Marziniak. Sie ist Teamleiterin im Wohnbereich einer Einrichtung für behinderte Menschen, in der Pollnow und Rose leben. „Aber wer ist sich dessen schon bewusst?“

„Da hab ich gesagt: Wir bleiben da dran“, erzählt Kathrin Pollnow – mit jedem weiteren Brief, der gekommen sei. Die 61-Jährige lebt schon lange im Matthias-Claudius-Haus, einer Einrichtung der Diakonie für Menschen mit Behinderungen. Sie arbeitet in der Hauswirtschaft, als sie Klaus-Dieter Rose (44) kennenlernt, der in der Küche hilft und das Essen ausfährt.

Kathrin Pollnow und Klaus-Dieter Rose werden nach ihrer Trauung von Freunden empfangen. Vor dem Standesamt Oschersleben, das sie nicht heiraten lassen wollte.
Kathrin Pollnow und Klaus-Dieter Rose werden nach ihrer Trauung von Freunden empfangen. Vor dem Standesamt Oschersleben, das sie nicht heiraten lassen wollte.Simon Kremer/dpa

„Ich mag es, dass wir uns verstehen und dass wir uns so lieb haben“, sagt Kathrin Pollnow. „Genau“, bestätigt Klaus-Dieter Rose. „Was sie sagt.“ Beiden ist wenige Tage vor der Hochzeit die Aufregung anzumerken.

„Hier geht es ja wirklich um das Eigentliche: um Liebe“

Seit gut zwei Jahren wohnen Rose und Pollnow zusammen in einer kleinen Wohnung in einem Haus der Einrichtung, in dem noch weitere Menschen mit Behinderung leben. Es gibt einen Putzplan. Wenn Kathrin Pollnow einkaufen geht, wird sie von einer Betreuerin begleitet. „Schatzi geht alleine einkaufen“, sagt Pollnow mit Blick auf ihren zukünftigen Ehemann.

„Hier geht es ja wirklich um das Eigentliche: um Liebe“, sagt die Betreuerin Marziniak. „Manche heiraten wegen der Absicherung, wegen der Pflege oder wegen Geld.“ Darum gehe es in diesem Fall aber gar nicht, weil beide in der Einrichtung gut versorgt seien.

Dennoch folgten nach der Ablehnung der Eheschließung Monate voller Schriftverkehr. Betreuungsakten wurden angefordert, medizinische Unterlagen, Gutachten erstellt. Der Landesbehindertenbeauftragte von Sachsen-Anhalt schrieb einen Brief: „Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verbietet jede Form der Diskriminierung.“

Es sei in Sachsen-Anhalt ein einmaliger Fall, sagt der Landesbehindertenbeauftragter Christian Walbrach. Der Bundesvereinigung der Lebenshilfe ist ebenfalls kein ähnlicher Fall aus dem gegenwärtigen Deutschland bekannt, in dem einem Brautpaar die standesamtliche Trauung wegen einer Behinderung verwehrt wurde.

Fast zwei Jahre mussten die beiden um ihr Eheglück kämpfen

Erst fast zwei Jahre nach dem ersten Termin beim Standesamt und einer persönlichen Anhörung durch die Präsidentin am Amtsgericht Magdeburg ergeht Anfang des Jahres der Beschluss, dass das Standesamt die Eheschließung durchführen muss.

„Letztendlich muss man unsere Leute verstehen“, erklärt der Bürgermeister von Oschersleben, Benjamin Kanngießer (parteilos). „Die Leute sind sich unsicher.“ Es sei gut, dass es den Rechtsweg gebe, auch wenn das mit Aufwand verbunden sei. Aber: „Nicht jeder geht so weit und hat auch die notwendige Unterstützung“, sagt Annett Marziniak aus dem Matthias-Claudius-Haus.

Sie steht vor den Stufen des Standesamtes auf dem Marktplatz. Bei der Eheschließung drinnen sind nur das Brautpaar, die Trauzeugen und der Standesbeamte. Etwa 50 Leute sind gekommen: Freunde, Familie, Mitbewohner aus der Einrichtung. Sie stehen vor den Stufen Spalier, halten Konfettikanonen bereit. Dann geht die Tür auf und das Brautpaar kommt heraus. Für später, für die Feier, hat sich Kathrin Pollnow etwas vorgenommen: „Ich will den Brautstrauß werfen.“ (Simon Kremer, dpa)