Anwohner stehen vor den Trümmern ihrer Häuser in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
Anwohner stehen vor den Trümmern ihrer Häuser in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. imago/Yuliia Ovsiannikova

Gezielte Angriffe auf Wohnviertel, Schulen und Kindergärten: Die Einwohner der ukrainischen Hauptstadt Kiew stehen fassungslos vor den Trümmern ihrer Häuser. Unter Laken liegen Leichen. Auch Kinder wurden bei den russischen Bomben-Einschlägen verletzt.

Anna-Maria Romantschuk steht sichtlich geschockt vor ihrer Schule in Kiew. „Beängstigend“, sagt die 14-Jährige, als sie das beschädigte Gebäude betrachtet. Vor dem Gymnasium Nr. 34 im Nordwesten der ukrainischen Hauptstadt ist am Freitag eine russische Rakete eingeschlagen. Anna-Maria ist blass vor Schreck, während ihre Mutter Oksana sie tröstet. „Ich hoffe nur, dass alles gut wird“, sagt die Jugendliche.

Vor der zerstörten Schule in Kiew liegt eine Leiche

Wenige Meter weiter liegt eine Leiche unter einem Laken. Die Explosion hat auf dem Platz zwischen der Schule, einem Kindergarten und mehreren Wohnblocks einen riesigen Krater hinterlassen. Durch die Wucht der Detonation sind alle Fenster der Schule im Stadtviertel Podilskyj zerborsten. Der nahe gelegene Kindergarten hat ebenfalls alle Fenster verloren, das Dach des Gebäudes ist aufgerissen. Nach Angaben des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko wurden bei dem russischen Angriff am Freitag ein Menschen getötet und 19 weitere verletzt, darunter vier Kinder.

Anna-Maria und Oksana waren zum Zeitpunkt der Explosion zu Hause, da die Schule seit Beginn des Krieges geschlossen ist und der Unterricht online stattfindet. Nach Angaben von Anwohnern diente das Gebäude jedoch als Schutzraum für Zivilisten, die sich vor den russischen Angriffen in Sicherheit bringen wollten. Die Menschen in dem Viertel sind fassungslos darüber, dass die Schule ein Angriffsziel der russischen Truppen wurde.

Kinder durch die russische Invasion in der Ukraine einer „unmittelbaren und wachsenden Bedrohung“ ausgesetzt

„Unser Direktor hat uns geschrieben und uns gebeten, beim Aufräumen zu helfen“, sagt Tetjana Tereschtschenko, während sie mit einem Besen die Scherben zusammenfegt. Ihre 14-jährige Tochter schluchzt: „Wir hatten gehofft, wieder in die Schule gehen zu können. Wir hatten Fernunterricht, aber jetzt wissen wir nicht, was passieren wird.“

Laut dem UN-Kinderhilfswerk Unicef sind Kinder durch die russische Invasion in der Ukraine einer „unmittelbaren und wachsenden Bedrohung“ ausgesetzt. Mindestens 103 Kinder wurden nach Angaben der ukrainischen Behörden seit Kriegsbeginn getötet, vier von ihnen in Kiew. Mindestens sechs weiterführende Schulen und vier Grundschulen in der Hauptstadt wurden demnach beschädigt.

Viele Kinder sind wegen des Krieges aus der Ukraine geflohen. Etwa 90 Prozent der 3,2 Millionen ukrainischen Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Doch Millionen von Kindern leben weiterhin in der Ukraine.

Zwar ist die Lage in der Hauptstadt nicht so schlimm wie in wie der Hafenstadt Mariupol oder im stark zerstörten Charkiw, aber auch in Kiew ist die Gefahr für die Kinder angesichts der täglichen Angriffe der russischen Armee groß.

In der Außenmauer eines Wohnhauses klafft ein riesiges Loch, Betonbrocken auf dem Spielplatz

„Das ist vollkommener Unsinn“, empört sich Wladimir Klitschko, der Bruder des Kiewer Bürgermeisters, als er den Ort des Angriffs besucht. „Ist das hier eine Militärbasis?“. Umringt von Sicherheitskräften spricht der ehemalige Boxweltmeister mit Menschen, deren Wohnungen bei dem Angriff zerstört wurden.

Die Explosion hat ein Loch in die Außenmauer eines Wohnblocks gerissen und den Blick auf die dahinter liegenden Zimmer freigelegt. Der Spielplatz ist mit Betonbrocken übersät, neben angesengten Bäumen stehen ausgebrannte Autos.

„Ein Krieger sollte gegen einen Krieger kämpfen, nicht gegen Zivilisten“, sagt Roman Wasylenko. In der Wohnung des 53-Jährigen wurden bei dem Angriff die Tür und ein Fenster herausgesprengt. „Das Schlimmste ist, dass kleine Kinder und Frauen getötet werden.“

Im Gymnasium Nr. 34 helfen dutzende Freiwillige aus der Umgebung dabei, die Spuren des Angriffs zu beseitigen in der Hoffnung, dass die Schule eines Tages wiedereröffnet werden kann. Das wiederkehrende Geräusch abgefeuerter Raketen erinnert jedoch daran, dass die Front nur wenige Kilometer von der Schule entfernt ist. Die russischen Truppen wollen Kiew einkesseln, treffen dabei aber auf heftigen Widerstand.

Für die Ukrainer ist es ein sinnloser Krieg. „Mein Großvater ist Russe. Ich bin Ukrainerin. Ich verstehe nicht, was das Ziel ist. Warum werden so viele Menschen getötet?“, fragt die 33-jährige Inna. „Es ist jemand aus diesem Haus getötet worden. Aber warum? In der Schule finden die Kinder Schutz. Warum müssen unsere Kinder leiden?“.

Etwa die Hälfte der 3,5 Millionen Einwohner Kiews sind bereits aus der Stadt geflüchtet. Doch Tetjana Tereschtschenko will bleiben. „Wohin sollten wir gehen? Dies ist unsere Stadt. Wir wollen sie nicht verlassen.“