Neun Generäle als Verräter „entfernt“: So gnadenlos rechnet Putin jetzt mit seinen engsten Vertrauten ab
Der russische Präsident hat aus Wut reihenweise hochrangige Militärs abgesetzt und knöpft sich auch Geheimdienste vor.

Der Kreml rechnete nach seiner Invasion am 24. Februar mit einem schnellen Sieg – darin sind sich Beobachter einig. Doch die russische Offensive kommt nur stockend voran. Und Kremlchef Wladimir Putin sucht nach Schuldigen, um auch gegen sie erbarmungslos vorzugehen. Wie der britische Telegraph berichtet, ist einer der ranghöchsten Militärbefehlshaber Moskaus, General Roman Gawrilow, verhaftet worden – nachdem Putin angekündigt hatte, Russland von Verrätern zu „säubern“.
Putin drohte Verrätern in bizarrer Rede
„Jedes Volk, das russische Volk ganz besonders, wird immer in der Lage sein, das Gesindel und die Verräter zu erkennen und sie auszuspucken, wie man eine Fliege ausspuckt, die einem in den Mund geflogen ist. Ich bin sicher, dass eine solche echte und notwendige Selbstreinigung der Gesellschaft unser Land nur stärken wird“, sagte der Kreml-Despot in der verstörenden Ansprache, die auch im TV übertragen wurde.
Den Militäreinsatz in der Ukraine verteidigte er darin mit harten Worten und verglich dabei den Westen und seine Sanktionen gegen Russland mit den Nazis während des Zweiten Weltkriegs.
General Gawrilow hat als Vizechef der russischen Nationalgarde die ukrainische Invasion angeführt, erlitt jedoch Berichten zufolge herbe Verluste beim Einmarsch in die Ukraine. Seine Verhaftung – andere Quellen sprechen stattdessen von Entlassung – ist nur die jüngste einer ganzen Reihe von Bestrafungen hochrangiger Militärs durch Putin. Bereits vor einer Woche soll der russische Präsident acht Generäle gefeuert haben, weil sie „ihre Aufgabe“ nicht erfüllt hätten.
Putin „säubert“ die Militärspitze und Geheimdienste
Und auch die Geheimdienste sind vor Putins Zorn nicht sicher. In jedem Fall scheint die für die Ukraine zuständige Abteilung innerhalb des Geheimdienstes ins Visier des Kremls geraten zu sein. Der in Frankreich lebende russische Dissident Wladimir Osetschkin veröffentlichte auf seiner Website eine Reihe von Briefen eines angeblichen Whistleblowers mit dem Namen „Wind of Change“, der behauptet, im FSB herrsche ein Klima der Angst, weil der Geheimdienst es versäumt habe, vor dem Widerstand gegen die russische Invasion zu warnen.
Jetzt auch lesen: Versteckt Kremlchef Wladimir Putin seine Geliebte und die vier Kinder in der Schweiz?
Russische Journalisten berichten in der unabhängigen Onlinezeitung Medusa mit Sitz im lettischen Riga, dass der Leiter der Abteilung 5 des Inlandsgeheimdienstes FSB, General Sergej Besseda, und sein Stellvertreter, Anatoli Boluch, unter Hausarrest gestellt worden seien. Ein vom ehemaligen Oligarchen und heutigen Oppositionspolitiker Michail Chodorkowski finanziertes Portal behauptet hingegen, Besseda sei zwar verhört worden, aber noch im Dienst. Boluch wurde demnach entlassen.
„Putin führt wahrscheinlich interne Säuberungen unter seinen Generälen und Geheimdienstmitarbeitern durch“, urteilt das Institute for the Study of War aus den USA. „Er tut dies entweder, um sein Gesicht zu wahren, nachdem er ihre Einschätzungen bei seiner eigenen Entscheidungsfindung vor der Invasion nicht berücksichtigt hat, oder als Vergeltungsmaßnahme für fehlerhafte Informationen, die sie ihm seiner Meinung nach geliefert haben.“
Es könne „sehr gut sein, dass es im Kreml eine verzerrte Wahrnehmung gab“, verlautet aus einem westlichen Geheimdienst. „Man habe nur sehen wollen, was die eigenen Vorurteile bestätigte. Und was sie wahrscheinlich nicht richtig gesehen haben, ist, dass die ukrainische Armee, die die Krim ohne Gegenwehr hat einnehmen lassen, heute nicht mehr dieselbe ist wie 2014.“
Putin hatte wohl falsche Geheimdienst-Informationen über militärische Stärke der Ukraine
Auch mit ihrer Einschätzung der ukrainischen Gesellschaft lagen die russischen Dienste offenbar falsch. Wenn Putin behauptet, er wolle die Ukrainer von ihrem Präsidenten Wolodymyr Selenskyj „befreien“, ist es nach Ansicht vieler Beobachter nicht ausgeschlossen, dass er selbst davon überzeugt ist.
„Vor einer solchen Operation schaut man sich zuerst den Zustand der Bevölkerung an, in welcher Situation man operieren wird“, sagt ein ranghoher französischer Beamter und bescheinigt den russischen Geheimdiensten eine „sehr schlechte Analyse“.
Auch die geschlossene und harsche Reaktion des Westens auf den Angriffskrieg war in Moskau anscheinend nicht erwartet worden. Trotz seiner großen Präsenz in Berlin habe der russische Geheimdienst „die strategische Wende der deutschen Regierung nicht vorausgesehen“, schreibt die auf Geheimdienste spezialisierte Website Intelligence Online. „Moskau ging außerdem anfangs davon aus, dass Paris im Falle einer Intervention in der Ukraine eine nahezu neutrale Position beibehalten würde.“