Es gibt Fähigkeiten, die jeder Mensch schon in jungen Jahren erlernen sollte – dazu gehören Schwimmen, das Binden von Schnürsenkeln, aber auch Kopfrechnen und das Lesen der Uhr. Nur: Werden diese Fähigkeiten von den Kindern heute noch mit der gleichen Selbstverständlichkeit erarbeitet wie vor ein paar Jahrzehnten? Schließlich nimmt einem das Smartphone heute die meiste Arbeit ab – und die Bildungspolitik lässt vielerorts zu wünschen übrig. Ein österreichischer Lehrer beklagt sich jetzt in einem Bericht von heute.at: 16-jährige Schülerinnen und Schüler können die Uhr nicht mehr lesen!
Warum können Schülerinnen und Schüler keine analogen Uhren mehr lesen?
Ein Kolumnist des österreichischen Onlineportals berichtet in einer Kolumne über die Bildungspolitik des Landes von dem besonderen Fall. Konkret geht es um einen Lehrer, der in einer Polytechnischen Schule unterrichtet – in Österreich ist das eine allgemeinbildende Schule, die an die achte Schulstufe anschließt. Der Lehrer unterrichtet dort Englisch, schreibt er laut heute.at in einem Leserbrief. Thema der ersten Schularbeit sei die Uhrzeit im Englischen gewesen – doch schon nach etwa fünf Minuten habe sich im Unterricht herausgestellt, dass die Kinder die Uhr gar nicht lesen können.
„Weder verstehen sie das Konzept des Kreises mit Hälften und Vierteln, noch können sie die Stunden- und Minutenzeiger auseinanderhalten“, heißt es laut dem Bericht in dem Schreiben des Lehrers. „Die österreichisch-deutschen Zeitangaben viertel drei oder dreiviertel drei verstehen sie schon gar nicht.“ Fünf Stunden des Englischunterrichts habe er bereits nutzen müssen, um mit den Schülern die Uhrzeit auf Deutsch zu erarbeiten. „Wobei die Schüler:innen komplett verweigern mit den Worten, sie hätten das nie gelernt und nie gebraucht. Wenn ich frage, wie sie den zukünftigen Lehrherrn verstehen wollen, sehen sie mich nur stumpf an.“

Zwar seien viele seiner Schüler Kinder mit besonderem Förderbedarf, schreibt der Lehrer. Er kritisiert, dass das richtige Personal fehle, um den Kindern das Wissen zu vermitteln. Aber: Nicht nur in diesem speziellen Fall gerät das Lesen der Uhr offenbar aus der Mode. So schätzte der Lehrerverband laut einem Bericht des SWR bereits 2023, dass zehn bis 20 Prozent der Kinder in Deutschland keine analogen Uhren mehr lesen können. Die Gründe für diese Entwicklung liegen für viele auf der Hand: Selbst in jungen Jahren ist das Smartphone inzwischen zum festen Begleiter geworden – und die Anzeige der Uhrzeit auf dem Bildschirm sorgt dafür, dass man sich um viertel, halb und dreiviertel keine Gedanken mehr machen muss.
Auch in Lehrerforen im Netz wurde das Thema bereits diskutiert. Zwar stehe das Lesen der Uhr im Lehrplan. „Dennoch können viele Schüler auch hier die Analoguhr nicht lesen“, schreibt etwa ein Nutzer aus NRW in einem Forum für Lehrerinnen und Lehrer. „Das ist eine sterbende Kulturtechnik. Messgeräte und Uhren sind heute weitgehend digital.“ Zwar würden Schülerinnen und Schüler das Wissen erlernen, doch weil analoge Uhren für die meisten keine Alltagsrelevanz hätten, werde das in der Schule geübte Wissen auch schnell wieder vergessen. „Auf dem Handy, auf der Armbanduhr, auf Fahrplänen und bei Terminen werden immer nur digitale Uhrzeiten genutzt“, schreibt ein anderer. „Da bleibt das einfach nicht nachhaltig hängen.“
Auch in England gab es Debatten über analoge Uhren in Schulen
Das ist bitter, denn: Das Lesen der Uhr ist nicht nur wichtig, um die Zeit zu kennen – für das Denken in Uhrzeiten und im 60er-Zahlensystem muss auch der Kopf angestrengt werden, was die Fähigkeiten im Kopfrechnen verbessern kann. In England gibt es das Problem ebenso – hier sorgten schon vor Jahren Berichte für Wirbel, dass sich angeblich Schulen über analoge Uhren in Prüfungsräumen beklagt hatten. Dafür, dass - wie mehrfach berichtet wurde - sogar analoge Uhren durch digitale ersetzt wurden, gibt es allerdings keine Belege. Fakt ist aber: Das grundlegende Problem existiert.
„Die aktuelle Generation kann das traditionelle Zifferblatt nicht so gut lesen wie ältere Generationen“, sagte etwa Malcolm Trobe, stellvertretender Generalsekretär der Association of School and College Leaders dem Telegraph. „Sie sind es gewohnt, eine digitale Darstellung der Zeit auf ihrem Telefon, auf ihrem Computer zu sehen.“ Im Guardian bestätigte ein Lehrer das Phänomen – und unterstützte die Schüler, statt Kritik zu üben. Sie seien nicht dümmer als früher, sondern nutzten demnach einfach andere Technologien. Damit beherrschten sie aber auch Dinge, über die die ältere Generation nur staunen könne. Es sei toll, wenn Kinder mit modernen Technologien souverän umgehen. ■
Wie finden Sie es, wenn Kinder und Jugendliche keine analogen Uhren lesen können? Ist das eine Bildungslücke – oder braucht es das Wissen nicht mehr? Wir freuen uns auf Ihre Nachrichten an leser-bk@berlinerverlag.com.