Junge Frau gestorben

Vor Gericht: Der Hausarzt, der zum Sterbehelfer wurde

Der Hausarzt ist nach seiner Hilfe beim Suizid einer depressiven Studentin angeklagt. In Berlin steht er vor Gericht.

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Der Hausarzt steht am Dienstag in Berlin vor Gericht.
Der Hausarzt steht am Dienstag in Berlin vor Gericht.Pressefoto Wagner

Einst war er Hausarzt, nun ist er Sterbehelfer: Dr. Christoph Turowski (74) steht nach seiner Hilfe beim Suizid einer depressiven Studentin vor Gericht. Und erklärt: „Mein Gewissen sagt, ich durfte das.“

Ruhig saß er auf der Anklagebank. Keine neue Situation für ihn: Vor sechs Jahren wurde er in einem Prozess nach der Selbsttötung einer Patientin (44) freigesprochen. Die Richter damals: „Der Patientenwille ist zu achten.“ Legale Sterbehilfe, denn frei verantwortlich nach einer langen und unheilbaren Darmerkrankung habe sich die Frau für einen Suizid entschieden.

Doch nun die Frage: Konnte die an einer schweren Depression leidende Studentin einen freien Willen bilden? Die Anklage verneint das – Isabell R. (37) habe sich in einer akuten Phase ihrer Erkrankung befunden, als sie den Sterbewunsch äußerte. Sie habe keinen freien Willen äußern können. Dem Arzt sei bewusst gewesen, dass der Wunsch Teil des Krankheitsbildes einer Depression ist.

Die Frau, nicht mehr leben wollte. Ihre Kindheit schwierig, ein erster Suizidversuch in jungen Jahren. Sie studierte Tiermedizin, boxte sich trotz Schwierigkeiten durch, hatte einen Hund. Ihre Wohnung in Wilmersdorf war gepflegt. Der Arzt: „Die äußere Fassade war wohl intakt.“ Im Umfeld soll niemand damit gerechnet haben, dass sie an Suizid dachte.

Der Arzt, der zum Sterbehelfer wurde. Er stammt aus einem Mediziner-Haushalt, wurde Internist, sieht seinen Beruf als Berufung, war 30 Jahre als Hausarzt mit Praxis in Steglitz tätig, ging 2015 in den Ruhestand. Seit vier Jahren engagiert er sich für die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). 100 Menschen hat er seitdem beim Suizid assistiert – legal und fast immer über die DGHS vermittelt. Der Fall der Studentin lief nicht über die DGHS. Am 21. Juni 2021 meldete sich Isabell R. bei ihm.

Der Hausarzt hatte keine Zweifel

Christoph Turowski: „Sie suchte Hilfe, drängte.“ Sie habe von ihrer „großen seelischen Not“ berichtet. Er habe ein langes Gespräch mit ihr geführt. 16 Jahre sei sie in Behandlung gewesen, nichts habe geholfen. Sie habe davon gesprochen, sich notfalls im Badezimmer zu erhängen. Er will sich absolut sicher gewesen sein: „Ich hatte keine Zweifel an ihrer Urteils- und Entscheidungsfähigkeit.“

Am 24. Juni 2021 fuhr er zu ihr. Sie schluckte in seinem Beisein tödlich wirkende Tablette, doch sie erbrach, überlebte. Der Sterbehelfer zum Richter: „Sie drängte auf einen weiteren Versuch.“ Viele Nachrichten habe sie geschrieben. Zwar waren einige gegen einen Suizid, „pro aber waren 95 Prozent“. Am 12. Juli 2021 dann in einem Hotelzimmer der zweite Versuch.

Diesmal legte T. eine tödlich wirkende Infusion, die sie in Gang setzte und starb. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nun „Totschlag in mittelbarer Täterschaft“ vor. Als mittelbarer Täter wird bezeichnet, wer die Tat „durch einen anderen begeht“. Mehrere Jahre Haft drohen.

Er sagt: „Heute würde ich mich in einem ähnlichen Fall absichern“ und den Fall durch eine Sterbehilfeorganisation prüfen lassen. Fortsetzung: Freitag. ■