Am Grenzübergang erschossen

Hinrichtung im Tränenpalast: Ist dieser Mützenmann der Stasi-Killer?

Schockierende Enthüllungen und große Erinnerungslücken – der Prozess gegen einen mutmaßlichen Stasi-Killer zieht sich hin.

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Der Ex-Stasi-Mitarbeiter hält sich eine Mappe vor sein Gesicht, im Hintergrund der Vorsitzende Richter Bernd Miczajka. 
Der Ex-Stasi-Mitarbeiter hält sich eine Mappe vor sein Gesicht, im Hintergrund der Vorsitzende Richter Bernd Miczajka. Sebastian Gollnow/dpa

Fast 50 Jahre ist es her, dass ein Mann hinterrücks am berüchtigten DDR-Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße erschossen wurde. Nun, ein halbes Jahrhundert später, steht ein Ex-Stasi-Mitarbeiter vor Gericht. Doch was steckt wirklich hinter dem Fall? Die Verhandlungstermine im Landgericht Berlin sind bereits bis Mitte November angesetzt – und ein Ende ist nicht in Sicht. Der Grund? Ein brisantes Gutachten einer Historikerin, das noch mehr Fragen aufwirft.

Der alte Mann, heute 80, soll den kaltblütigen Mord an einem 38-jährigen Polen verübt haben. Die Anklage wirft ihm vor, Czesław Kukuczka, einen Familienvater aus Polen, am 29. März 1974 aus nächster Nähe in den Rücken geschossen zu haben – am wohl bekanntesten Grenzübergang der DDR, dem „Tränenpalast“. Doch der Angeklagte bestreitet alles. Seine Verteidigerin verkündet, ihr Mandant sei unschuldig.

Ein 80-jähriger Leipziger als Stasi-Killer unter Verdacht

Ein Foto des Feuerwehrmanns Czeslaw Kukuczka, der am 29. März 1974 am Grenzübergang in Berlin erschossen wurde.
Ein Foto des Feuerwehrmanns Czeslaw Kukuczka, der am 29. März 1974 am Grenzübergang in Berlin erschossen wurde.Brewer Bob

Auch ein weiterer Zeuge, mittlerweile 83 Jahre alt, der kurz nach dem Vorfall zum Leiter einer Sicherheitsgruppe ernannt wurde, will von nichts gewusst haben. Der ehemalige Oberleutnant behauptet, andere Abteilungen seien damals verantwortlich gewesen. Doch Richter Bernd Miczajka äußert mehrmals Zweifel an diesen Aussagen und kritisiert die auffälligen Erinnerungslücken des Zeugen. Schließlich gibt der 83-Jährige zu, vieles verdrängt zu haben. Späte Reue? „Mir ist heute im Prinzip klar, dass nicht alles in Ordnung war, was gemacht wurde.“, so seine erschütternde Erkenntnis.

Familie des Stasi-Opfers kämpft um Gerechtigkeit

Der Angeklagte soll zur Tatzeit Teil einer Operativgruppe des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit gewesen sein, mit dem Ziel, Kukuczka „unschädlich“ zu machen. Die Familie des Opfers, darunter drei Kinder und eine Schwester, treten im Prozess als Nebenkläger auf. Aufgrund der historischen Tragweite wird der gesamte Prozess aufgezeichnet.

Jahrzehntelang blieben die Ermittlungen erfolglos, doch 2016 führte eine Spur aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv schließlich zum mutmaßlichen Täter. Während zunächst nur von Totschlag ausgegangen wurde – eine Tat, die verjährt wäre – wirft die Staatsanwaltschaft dem Ex-Stasi-Mann nun heimtückischen Mord vor. ■