Kolumne „Wir von hier“

Zoff zwischen Generationen: Seid nett zu den Boomern!

Unsere Autorin kennt zwar die Defizite ihrer Generation, vor allem aber auch deren Vorzüge.

Author - Claudia Pietsch
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Eine alte Kulturtechnik – das Lesen von Stadtplänen und Landkarten auf Papier – beherrschen Boomer meist aus dem Effeff.
Eine alte Kulturtechnik – das Lesen von Stadtplänen und Landkarten auf Papier – beherrschen Boomer meist aus dem Effeff.blickwinkel/imago

Die Generation der Babyboomer erkennt man daran, dass ihre Handys Klapphüllen haben. Dahinter ein sich vor Lachen kringelnder Smiley. Das lese ich in einem Kurznachrichtendienst und stutze: Wann hat das eigentlich angefangen, dass die in Deutschland zu Zeiten des Babybooms Geborenen zum Buhmann der Nation wurden? Was haben die in den 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf die Welt Gekommenen angestellt, dass nachfolgende Generationen meinen, man müsse sie verspotten, nicht ernst nehmen und sich sogar über sie lustig machen?

Boomer ist inzwischen auch in Berlin so etwas wie ein Schimpfwort. Ich erblicke auch hier T-Shirts, auf denen steht: „OK Boomer“. Inzwischen weiß ich, dass das so viel bedeutet wie: „Mit Dir zu diskutieren hat sowieso keinen Sinn“. Ein Pauschalurteil. Hinter dem steckt der Vorwurf, Boomer hätten in ihrem Leben vieles falsch gemacht. Mit ihrer ausschweifenden Lebensweise Klima und Umwelt verdorben, Minderheiten diskriminiert, zu viel Fleisch gegessen und das immer noch nicht eingestellt! Das Verwerfliche daran wolle diese Generation zudem nicht einsehen – so das gängige Vorurteil.

Wir sind Kinder der 60er-Jahre

Ich interessiere mich zunehmend mehr für diesen Generationenkonflikt, weil auch viele meiner Freunde und ich Kinder der 60er sind. In diesem Jahr feiern die Frauen und Männer des geburtenstärksten Jahrgangs 1964 ihre 60. Geburtstage. Noch nicht richtig alt, aber auch nicht mehr jung. Aber wir sind viele, denn erst nach uns kam der Pillenknick.

Liebe nachfolgende Generationen, ich bitte bei all unseren Versäumnissen anzuerkennen, was wir alles können. So beherrschen wir etwa noch alte Kulturtechniken, wie das Lesen eines Stadtplans oder einer Landkarte auf Papier. Dazu gehört eine Mindestorientierung, wo vielleicht der Norden sein könnte. Zudem können wir, auch wenn Handwerker nicht unser Beruf ist, tapezieren, eine feuchte Wand isolieren und sogar alte Möbel restaurieren. Das und vieles mehr beherrschen wir, weil wir es lernen mussten. In einer Wirtschaft, in der Konsum nicht das Nonplusultra war oder weil wegen Arbeitslosigkeit das Geld knapp war.

Dass man einen Abfluss mit einem Pömpel wieder freimachen kann, das haben wir von Opa gelernt. Dafür zumindest brauchen wir keinen Lifehack. Die Mutter brachte uns bei, wie ein ordentlicher Kartoffelbrei zubereitet wird. Im Zweifelsfall lesen wir in ihrem alten handgeschriebenen Kochbuch nach. Auch ein Internet-Tutorial über Basics zum Stricken und Häkeln benötigen wir nicht. Das wurde uns im Handarbeitsunterricht gelehrt. Genau wie vielen von uns das Feilen und Sägen im Schulfach Werken. Ich schließe nicht aus, dass diese Fähigkeiten nochmal außerordentlich gefragt sein werden.

Um eine unbekannte Pflanze im Garten oder Park zu identifizieren, befragen wir in der Regel keine App, sondern dafür haben wir Bücher. Überhaupt Bücher – wir haben noch gelernt, dass sie Freunde sind. Deshalb würden wir sie nie in einem „Zu-verschenken-Karton“ auf der Straße aussetzen. Wenn wir wirklich mal ein Exemplar loswerden wollen, bringen wir es zumindest zum nächsten öffentlichen Bücherschrank. Und im Ernstfall kümmern wir uns liebevoll um unsere Mütter und Väter.

Das steht bei den Babyboomern auf der Haben-Seite

Das steht neben all unserem Verschulden auf unserer Haben-Seite und das ganze Neue haben wir im Laufe der Jahrzehnte noch dazugelernt. Natürlich ist es eine Binsenweisheit, dass jede Generation meint, sie habe das schwerste Päckchen zu schleppen. Bei all Euren Sorgen wünsche ich mir aber, dass Ihr netter zu uns Boomern seid. Vielleicht tragen wir die Bürde gemeinsam. Und erklärt uns um Himmels willen, welche Handyhülle wir haben müssen, um nicht alt auszusehen.

So werden Boomer geschmäht: „OK Boomer“ bedeutet so viel wie: „Mit Dir zu diskutieren hat sowieso keinen Sinn“.
So werden Boomer geschmäht: „OK Boomer“ bedeutet so viel wie: „Mit Dir zu diskutieren hat sowieso keinen Sinn“.Pond5 images/imago

Claudia Pietsch schreibt montags im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten.
Kontakt zur Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com  ■