Wenn wir über Radikalisierung im Internet reden, geht es häufig um Rechtsruck, Islamisierung, etc. – ernste und wichtige Themen, über die man auch sprechen muss. Aber worüber wir nicht so häufig reden, ist, dass Radikalisierung nicht nur auf einer politischen Ebene, sondern eigentlich bei jedem Thema passieren kann. Interessiert man sich für etwas und verbringt ein bisschen Zeit in sozialen Medien, hat man am Ende eine ziemlich radikale Meinung über etwas, das eigentlich ein zwangloses Hobby für einen sein sollte.
Ich muss da jetzt gerade wieder dran denken, weil Taylor Swifts neues Album letzte Woche erschienen ist, und das schon wieder Wellen im Internet geschlagen hat. Sie ist ja wirklich ein Paradebeispiel dafür, wie Leute sich besonders im Internet bei einem Thema hochschaukeln, das letzten Endes gar nicht mal so wichtig ist.
Taylor Swift war schon im Zentrum so mancher ernsten Internet-Kontroversen. 2016 hatte sie eine Fehde mit Kanye West und seiner damaligen Ehefrau Kim Kardashian, die auf Twitter so hochgeputscht wurde, dass sie sich für ein Jahr komplett von der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Dann, vor relativ kurzem, generierte jemand mithilfe von Künstlicher Intelligenz gefälschte Pornobilder von ihr, die auf X (vormals Twitter) die Runden machten. X reagierte, indem die Plattform es für 24 Stunden unmöglich machte, nach ihrem Namen zu suchen.
Aber das sind nur die extremen Negativbeispiele. Soziale Medien radikalisieren nicht nur auf dem Spektrum „mag ich sie oder mag ich sie nicht“, sondern zu jeder Meinung. So gibt es zum Beispiel eine kleine Gemeinde von Taylor-Swift-Fans, die absolut überzeugt davon ist, dass sie lesbisch ist und es bisher nur gut verschleiert hat.

Als Swift-Fan im Internet stößt man früher oder später auf die sogenannten Gaylors (zusammengesetzt aus „Taylor“ und „gay“, also homosexuell), die in Taylor Swifts Songs und Leben nach Beweisen suchen; und ihre Theorie verteidigen sie mit einer solchen Leidenschaft und mit einer so eingehenden Analyse, dass auch ich mich eine Zeitlang habe mitreißen lassen. Zumindest so lange, bis ich mal eine Auszeit von Social Media genommen habe und gemerkt habe, dass die ganze Theorie überhaupt keinen Sinn macht und ich mich verhalte wie ein Verschwörungstheoretiker.
In einer Zeit vor Social Media hätten diese Leute wahrscheinlich entweder in ihrem stillen Kämmerlein ihre Theorien gesponnen, oder aber wären sehr viel entspannter gewesen und offener im Umgang mit Zweiflern. Aber dadurch, dass man sich in den sozialen Medien in einer Echokammer befindet, wo der Algorithmus einem nur die Leute aus aller Welt zeigt, die die gleiche Meinung haben wie man selbst, hat man den falschen Eindruck, dass die eigene Meinung verbreiteter ist, als sie ist, und redet sich untereinander in Rage.
So gerne ich also Leuten empfehle, sich auf den Spuren der eigenen Interessen im Internet zu begeben, ist es auch wichtig, manchmal einen Moment Abstand zu nehmen und sich zu fragen, wie normal es ist, mit wie viel Zeit und Leidenschaft man seine Interessen verfolgt.
Jana Hollstein schreibt immer dienstags für den KURIER über die große weite Welt des Internets. Mails an wirvonhier@berlinerverlag.com ■