Waren Sie am Sonntag auch auf einem Friedhof? Haben eine letzte Ruhestätte liebevoll abgedeckt, Blumen oder ein Gesteck mitgebracht und eines lieben Menschen gedacht? Ich besuchte das Grab meines Vaters und war sehr traurig. Doch Erinnerung und Wehmut wichen schnell einem Unbehagen. Denn auf meinem Nachhauseweg blinkten mich aus vielen Fenstern schon grinsende Weihnachtsmänner, niedliche Rentiere oder lichtorgelähnliche Dekorationen an. Bunte Fröhlichkeit allerorten.
Jedes Jahr dasselbe und jedes Mal wundere ich mich. Die Tradition besagt, Weihnachtsschmuck, -beleuchtung und -trubel erst nach dem Totensonntag. Einem stillen Tag. Doch allem Anschein nach halten sich immer weniger Menschen in unserer Region an die ungeschriebene Regel.
Erst nach dem Totensonntag beginnen die Weihnachtsvorbereitungen
Sie hat einen christlichen Hintergrund. Zwar gehört in Berlin nur noch rund jeder Vierte einer christlichen Kirche an und in Brandenburg ist es nur jeder Fünfte. Aber aus meiner Sicht passt es in ein gelungenes Jahr, am letzten Sonntag im November gerade erst verlorener Menschen und am Volkstrauertag der Toten von zwei Weltkriegen zu gedenken. Erst danach geht es an die Weihnachtsvorbereitungen.
Der November ist der Monat der Einkehr, dessen Witterung meist zum kleinen oder ganz großen Kummer passt. Dazu gehört vielleicht eine Kerze, aber keine Beleuchtung in allen Regenbogenfarben. Solche Traditionen sind für mich wie Pfeiler im Labyrinth des Lebens. Nach einer grauen Zeit voller Melancholie, in der man auch trübe Gedanken zulassen darf, folgt Vorfreude auf das Fest. Egal, wie man es mit einem höheren Wesen und der Religion hält.
Freude auf das Fest erst im Advent
Mit dem Totensonntag endet das Kirchenjahr und mit dem neuen beginnt die Vorweihnachtszeit, der Advent. Das Wort kommt aus dem Lateinischen und bedeutet übersetzt „Ankunft“. Für Christen wird an die erste Ankunft von Jesus erinnert – also an seine Geburt. Die Sonntage im Advent stehen aber auch für das Warten darauf, dass Jesus am Ende der Zeiten wiederkehrt. Deshalb eben die Freude auf das Fest. Der schließen sich selbst Konfessionslose gern an.
Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich gönne ich jedem eine fantasievolle und bunte Weihnachtsdekoration. Nur eben nicht zu früh. Ab dieser Woche werde auch ich mich an festlichen Illuminationen freuen und über die eine oder andere überdimensionierte vielleicht leise kichern. Aber auch mich macht es immer ein wenig froher, wenn die Straßen in Berlin durch Lichter heller und zugewandter werden.
Auch im Advent gehe ich bestimmt wieder auf den Friedhof. Und werde mich dann nach einem Besuch daran freuen, dass an der nahe gelegenen Kirche ein Herrnhuter Stern leuchtet und von Hoffnung zeugt.

Claudia Pietsch schreibt jede Woche im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten.
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