Der klare KURIER-Kommentar

Kaum Touris? Hört und seht erst mal richtig hin, bevor ihr Berlin mies macht!

Nur weil so wenige Menschen Berlin-Reiseführer kaufen, hätten Touris die Stadt nicht mehr lieb – meinen Autoren einer Studie. So einen Bären lässt sich unser Autor aber nicht aufbinden!

Author - Norbert Koch-Klaucke
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An den Verkäufen der Berlin-Reiseführer lässt sich ablesen, ob Touristen gerne in die Hauptstadt kommen – so einen Quatsch sollte man keinen Berliner erzählen.
An den Verkäufen der Berlin-Reiseführer lässt sich ablesen, ob Touristen gerne in die Hauptstadt kommen – so einen Quatsch sollte man keinen Berliner erzählen.Zoonar/imago

Ich glaube, da will man mir ganz schön einen Berliner Bären aufbinden. Da lese ich doch gerade, dass kein Mensch mehr in die Stadt will, in der ich geboren wurde und in der ich seit fast 60 Jahren lebe. Gut, ich habe mit Berlin ja auch so meine Probleme. Aber dass die Stadt als Traumziel der Touristen aus aller Welt ausgedient haben soll, nur weil kaum noch ein Mensch Berlin-Reiseführer kauft – dat kann mir doch wirklich keener erzählen!

Fangen wir einmal bei den Studienmachern an. Die ganze Auswertung mit den Reiseführern stammt von Media Control. Da klingeln schon bei mir die Ohren: Das ist das Unternehmen, das einst mal mit dem Erstellen der deutschen Musik-Charts nach Plattenverkäufen und Radioeinsätzen begann. Nun machen sie das Ganze auch mit TV-Sendungen und Büchern.

Aber vom miesen Verkauf von Berlin-Reiseführern abzuleiten, Berlin sei kein Top-Ten-Hit mehr in den Touris-Charts – sorry, das ist ausgemachter Quatsch. Warum soll man denn auch solche Werke massenweise als Tourist kaufen? Das meiste steht ja im Internet! Auch über Berlin!

Der nächste Punkt: Ich möchte ja den Autoren dieser „Studie“ nicht zu nahe treten. Und auch denen nicht, die diese nun als Untergang der Hauptstadt ansehen. Aber wenn ich die Studienmacher und die Schwarzseher richtig verstehe, hat man sich heutzutage die Bezeichnung „Berlin-Tourist“ nur dann verdient, wenn man sich a) einen Reiseführer gekauft hat, und b) wenn man Englisch spricht. Alles andere scheint ja nicht zu zählen.

Doch wer aufmerksam durch Berlin läuft, wird feststellen, dass es an Touristen in der Stadt nun wahrlich nicht mangelt. Kinder, ihr müsst nur richtig hinschauen und auch hinhören!

Müssen Berlin-Gäste immer wie Touris aussehen, damit man sie wahrnimmt?

Ich gebe mal ein Beispiel: Auf meinen feierabendlichen Gang zum Bahnhof Alexanderplatz stellte ich gerade erstaunt fest, dass so gegen 18 Uhr noch recht viele Menschen in einer Schlange warteten, um auf den Fernsehturm zu kommen. Das waren  garantiert keine Berliner, die sich da die Beine in den Bauch standen.

Berlin-Gäste aus Kuba mit ihrer Landesfahne vor dem Brandenburger Tor: Doch müssen Berlin-Besucher immer wie Touristen aussehen, damit man sie wahrnimmt?
Berlin-Gäste aus Kuba mit ihrer Landesfahne vor dem Brandenburger Tor: Doch müssen Berlin-Besucher immer wie Touristen aussehen, damit man sie wahrnimmt?Funke Foto Services/imago

Mein Staunen ging auf dem Bahnsteig zu den Regionalzügen weiter. Da standen auf der Plattform sehr viele Menschen, die meisten waren Touris, die wenigsten Berufspendler. Eine große Truppe von Frauen, Männern und Kindern war darunter, die aus Schweden kamen.

Keine touristentypische Rucksäcke oder Bauchtaschen trugen sie. Nee, die fröhlich quatschenden Schweden sahen eher wie Berliner aus. Nur an der Sprache merkte man, dass dies nicht so war. Und die war nun Schwedisch und kein Englisch.

Alter Schwede, man muss als Tourist nun einmal nicht so aussehen, als wäre man einer – oder Englisch beziehungsweise Spanisch sprechen. Ach, ja solche Sprachbrocken hörte ich auf dem Bahnhof und im Zug später auch.

Und da waren noch ganz andere Touristen in dem Regio, der in Richtung Potsdam und dann nach Magdeburg fuhr. Da saßen im Abteil auch noch Touristen, die sahen wie Deutsche aus – und sie sprachen auch noch auf Deutsch!

Sorry, dass ich gelauscht habe. Aber diese Ehepaare, die da in meiner Nähe saßen, erzählten recht laut in einem sachsen-anhaltinischen Dialekt über ihren Tagesausflug nach Berlin. Das sind auch Touristen, meine lieben Studienmacher von Media Control.

Also, schaut und hört euch erst einmal richtig um, bevor Ihr mein Berlin madig macht. Oder besser: Kauft euch einen Berlin-Reiseführer!

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