Bei Geld hört die Freundschaft auf. Oder man spricht nicht darüber, weil man es ja hat. Diese und ähnliche Sprüche fallen mir gerade ein, weil nun wieder über das Trinkgeld debattiert wird. Wie man gerade im KURIER lesen konnte, bringt man in Berlin mittels eines elektronischen Bezahltricks die Kundschaft in einigen Restaurants dazu, eine Art Zwangsobolus an das kellnernde Personal zu entrichten.
Das hat mich zum Nachdenken bewegt. Nicht nur darüber, wie viele Euro man überhaupt einem Ober oder einem Handwerker zusätzlich in die Hand drückt. Ich überlegte auch, wie das überhaupt mit dem Trinkgeld vor allem in der DDR war. Denn da galt diese Zahlungsweise sogar als „überlebenswichtig“.
Nun, Trinkgeld gibt man normalerweise, wenn man einen Dienstleistenden für seine geleistete Arbeit besonders danken oder würdigen will. „Für die Kaffeekasse“, sagte dann immer meine Mutter, nicht nur im Restaurant, sondern auch beim Fleischer, wenn er ihr außerhalb der Reihe mal ein Stück Schinken oder eine ungarische Salami zusteckte, die ich gerne aß.
Aber in der DDR lief diese Art der finanziellen Extrawurst noch ganz anders. Dort gab man Trinkgeld auch schon im Vorfeld, um eine Dienstleistung erst zu erzwingen. Wenn Sie so wollen, war das in Wahrheit so eine Art Bestechung.

Etwa, wenn meine Mutter mit mir zum staatlichen Kohlenhändler ging. Damit dieser bei seiner Lieferung nicht nur Schüttkohle auf der Ladefläche des Lkw hatte, die man mühsam im Keller stapeln musste, sondern auch die bereits gebündelten Briketts, legte sie schon bei der Bestellung etwas mehr Geld auf den Tisch. Ging der Wunsch in Erfüllung, erhielt der Kohlenträger nach getaner Arbeit noch einen schönen Extrabonus, damit beim nächsten Mal die Lieferung genauso gut klappte.
Trinkgeld in der DDR: Mit Westgeld war man bei den Kellnern ein König
Ähnlich lief es in den Restaurants. Wer in der DDR aufwuchs, kann sich bestimmt noch daran erinnern, dass in guten Lokalen am Eingang ein Schild mit der Aufschrift „Hier werden Sie platziert“ stand. Das konnte ewig dauern, bis man dran kam.

Um den Prozess zu beschleunigen, drückte mein Vater dem fürs Platzieren verantwortlichen Kellner unauffällig etwas Geld in die Hand. Das Dumme, dies taten fast alle. Man musste dem Herren schon etwas Besonderes bieten – zum Beispiel Westgeld, damit er wartende Gäste bevorzugte, sie von ganz hinten aus der Reihe nach vorne holte und ihnen einen Tisch zuwies.
Ach ja, die „blauen Fliesen“! So nannte man die blauen 100-DM-Scheine in der DDR, die als Zweitwährung für allerhand Trinkgeldanlässe herhalten mussten. An den „blauen Fliesen“, die einem die Westverwandtschaft für „Notfälle“ beim Ost-Besuch hinterließen, erfreuten sich vor allem die Handwerker.

Erhielten sie diesen Zusatzverdienst, kamen sie besonders schnell, waren besonders fleißig und hatten auch noch die benötigten Materialien dabei, die es allgemein in der DDR schwer gab. Und wenn es kein Westgeld war, erfreute sich zum Beispiel unser Klempnermeister auch an West-Zigarettenpackungen, die ich als Kind einmal im Wäscheschrank meiner Mutter fand und ich mich wunderte, warum wir diese hatten, da ja keiner in der Familie rauchte.
Auch Lebensmittel als Trinkgeld waren willkommen. Für Spargel oder Südfrüchte öffneten sich ganz schnell die Werkstatttore. Wer noch mit schwer zu bekommende Karten für den Friedrichstadt-Palast winkte, hatte sofort einen Termin für seinen kaputten Trabi.
Was mich wundert, das heute behauptet wird, dass das Geben von Trinkgeld in der DDR verboten gewesen sein soll. Davon habe ich damals jedenfalls nichts gemerkt.
Norbert Koch-Klaucke schreibt jeden Freitag im KURIER über Geschichten aus dem Osten. Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com ■