Ich weiß, damit mache ich mich jetzt ziemlich unbeliebt. Raclette ist für viele das kulinarische Heiligtum des Winters, ein Symbol für Gemütlichkeit, Zusammenhalt und lange Abende am Tisch. Für mich ist Raclette vor allem eines: nervig. Und zwar mehr, als es gut ist.
Viel Hunger, wenig Essen
Man startet voller Motivation, alle haben Hunger, alle freuen sich auf einen geselligen Abend. Und dann passiert erst mal: nichts. Kleine Pfännchen, winzige Portionen, endloses Warten. Jeder fummelt irgendwo herum, reicht Käse, Silberzwiebeln und Kartoffeln weiter – und nach kurzer Zeit fragt man sich ernsthaft, warum man nicht einfach normal gekocht hat.
Ich sitze da mit echtem Hunger und warte zehn Minuten darauf, dass ein bisschen Käse über Kartoffeln schmilzt. Realistisch bräuchte jeder mindestens drei Pfännchen gleichzeitig, um überhaupt satt zu werden. Stattdessen wird geschoben, getauscht und gefragt: „Kannst du mir mal den Käse reichen?“ – „Wo sind die Pilze?“ – „Hat noch jemand Mais?“
Gemütlich ist das nicht. Als Gastgeber wird es noch schlimmer. Man organisiert gefühlt 70 Zutaten und hat danach tagelang den Kühlschrank voller Raclette-Reste, die niemand mehr anrührt.

Und dann der Geruch. Der Raum riecht ewig nach Käse, die Klamotten auch. Lüften hilft kaum. Während des Essens wird einem außerdem unfassbar warm, weil dieses Raclette-Gerät wie ein kleiner Heizstrahler mitten auf dem Tisch steht.
Geduldsprobe statt Festessen
Raclette soll entschleunigen – mich macht es eher aggressiv. Ich will essen, nicht warten. Vielleicht bin ich allein damit. Aber für mich ist Raclette kein Festessen, sondern eine Geduldsprobe mit Käsegeruch.
Ganz abschreiben will ich Raclette aber auch nicht. Mit guten Zutaten, weniger Chaos und ein paar kreativen Ideen kann der Abend tatsächlich besser werden. Hochwertiger Käse, frische Produkte, vielleicht ungewöhnliche Kombinationen. Nur bitte nicht überall und jedes Jahr als angeblich ultimatives Festessen.



