In Berlin ankommen

Ein Neuankömmling fragt: „Seht ihr Berliner den Fernsehturm noch?“

Vom  ländlichen und naturnahen Schweden in die pulsierende Hauptstadt: So ist es, nach Berlin zu ziehen.

Author - Veronika Hohenstein
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Ein Neuankömmling fragt: „Seht ihr Berliner den Fernsehturm noch?“ 
Ein Neuankömmling fragt: „Seht ihr Berliner den Fernsehturm noch?“ Veronika Hohenstein

Über die Hälfte meines Lebens habe ich in Schweden gewohnt, zwischen all den schönen Klischees von Blaubeeren, roten Holzhäusern, klaren Seen, tiefen Wäldern und Elchbegegnungen. Die Kontraste zwischen dem nordischen Leben und Berlin sind unübersehbar. Ich bin nicht weggezogen, weil ich wegwollte, sondern weil ich neue Eindrücke wollte. Und Berlin brodelt, das spürte ich schon aus der Ferne.

Also bin ich hierhergezogen und stand plötzlich vor dem Berliner Fernsehturm. Seht ihr Berliner den Fernsehturm noch? Hebt ihr den Blick? Bei mir löst er mehr aus als der Eiffelturm in Paris. Vielleicht Sehnsucht, Vorfreude oder Fernweh? Keine Ahnung.

Beim Entschluss, hier herzuziehen, habe ich mich auf das Urteil von Freunden verlassen. „In Berlin ist immer etwas los“, versprachen sie mir. Und sie hatten so recht. An meinem ersten Samstag in Berlin schien die Sonne, man empfahl mir einen Spaziergang am Maybachufer. Leute spielten Boule. Jemand tanzte. Musik, Bier und Pizza auf dem Gehsteig. Ein warmes Gefühl überkam mich.

Oh, kunterbuntes, wunderbares, kreatives Berlin! Danke, dass du mich hierhergelockt hast! Diesen Samstag kann man uns nicht nehmen, Berlin. An diesem Tag wanderte ich, laut meinem Handy, über 20 Kilometer, auch über den ehemaligen Tempelhofer Flughafen.

So ist es, in Berlin anzukommen

Aber es gibt auch andere Seiten dieser Stadt. Ungefragt seinen sehr ehrlichen „Senf“ dazugeben, das macht man in Schweden nicht. Der Schwede ist stets bemüht, dem anderen nicht zu nahezutreten. Erst dachte ich: „Warum seid ihr Berliner so schlecht gelaunt?“

Da war nämlich eine passiv-aggressive Ansage eines U-Bahn-Schaffners in den Lautsprechern, die ich irgendwie persönlich nahm. „Wir sollen uns nicht so drängeln, gleich kommt doch noch eine Bahn“, sagte die Stimme forsch. Ich machte als Einzige einen Schritt aus dem überfüllten Wagon, obwohl ich eigentlich gut in der Ecke an der Tür stand. Das war dem Schaffner gut genug, und die Türen schlossen sich. Ich sah der Bahn ein wenig traurig nach. Das Gefühl, hier nicht hinzuzugehören, machte sich breit. Wie befremdlich das Gefühl war, inmitten so vieler Leute, sich trotzdem einsam zu fühlen – oder war ich einfach nur übersensibel?

Aus dem ländlichen Schweden kam unsere Autorin in die Metropole Berlin. 
Aus dem ländlichen Schweden kam unsere Autorin in die Metropole Berlin. Veronika Hohenstein

Schlechte Laune – klar gibt es die auch in Berlin

Der Schaffner hatte natürlich recht, die nächste Bahn kam kurz danach. Und zum Thema schlechte Laune: Klar gibt es die hier auch, wo denn nicht? Aber viele herzliche Begegnungen mit Menschen dieser Stadt überzeugten mich schließlich von einer anderen Seite, wie herrlich viele hier einfach drauflos quatschen und stets ist man um Ehrlichkeit bemüht.

Tolle Menschen der Stadt treffe ich dank meiner Arbeit beim Berliner KURIER fast täglich, das ist das Schönste! Jetzt weiß ich, dass der Jargon hier vielleicht herber ist, aber auch wertvollen Humor in sich birgt. Ein Schatz an Sprache. Hier redet man nicht um den heißen Brei herum – das gefällt mir mittlerweile schon ganz gut.

Ein anderes Erlebnis des Neuankömmlings betrifft das Thema Bargeld. In Schweden nutzte ich stets meine Karte oder das Handy zum Bezahlen. Als ich in den ersten Tagen einen exzellenten Cappuccino in Kreuzberg bestellte und umständlich und mit zu viel Zeitaufwand mein Kleingeld überreichte, murmelte ich, dass ich „das mit dem Euro noch lernen muss“. Das höfliche Lächeln, machte mir klar, dass die Bedienung schon verrücktere Sachen erlebt hat.

Bargeld hat schon was Nettes, wenn es in der Tasche klimpert, aber es fühlt sich auch an wie aus einer anderen Zeit. Ich muss mir nun wieder ein Portemonnaie zulegen, das habe ich schon in meinen frühen Teenagerjahren verloren, mit dem Umzug nach Schweden geriet es in irgendeine Umzugskiste mit Kinderkram.

Berlin – wie ein launischer Nachbar

Das Gesicht von Berlin kann manchmal ruppig, roh und grob wirken. Manchmal beobachte ich die Mäuse, die zwischen den Schienen aufräumen, und heruntergefallene Currywurststückchen in Sicherheit bringen. Ratten, die, wie Experten der Infrastruktur, ganz vergessen haben, scheu zu sein. So erlebe ich auch die vielen Hunde der Stadt als selbstständig, sie kennen Verkehrsregeln, tragen ihre eigene Leine und sind unbestechlich – Artgenossen interessieren sie auch nicht. 

Doch wenn man es am wenigsten erwartet, sind an der schmutzigsten Ecke überraschende Kontraste und Vielfalt zu finden. So überkam mich der Gedanke, wie schön es ist, etwas zum ersten Mal zu erleben. Als Kind setzt man sich Neuerlebnissen ständig aus, man traut sich. Aber das wird weniger mit den Jahren. Ich bin so dankbar, Berlin mal ganz von vorne zu erleben, das macht man nur einmal im Leben. Diese Stadt macht etwas mit Menschen, und ich freue mich darauf, zu entdecken, was ich mitnehmen darf. 

Ein guter Tipp für andere Newbies ist, die Stadt mit dem Rad zu erkunden, denn ein unglaubliches Freiheitsgefühl packte mich, als ich auf meinem neuen-alten Fahrrad quer durch Berlin trampelte – es war windig, grau und wunderschön. Meine Wangen glühten nach diesem Abenteuer.

Die Stadt kann aber auch überwältigend sein, mit den Hubschraubern, die ständig über der Stadt kreisen, der niemals einkehrenden Stille und den ständigen parallelen Welten. Könnte man Berlin als launischen Nachbarn beschreiben, mal herrlich und mal temperamentvoll? Aufzuwachen und erst mal zu schauen, in welcher Atmosphäre der Fernsehturm sich am Morgen zeigt, hilft mir einzuschätzen, womit mich Berlin wohl heute überrascht.