Kolumne „Wir von hier“

Berlin kann keinen Winter

Unsere Autorin ist froh darüber, dass das Weihnachts-Tauwetter pünktlich eingetroffen ist. 

Author - Claudia Pietsch
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Dieser Graureiher im Berliner Tiergarten kommt klar mit dem Winter - die Stadt meist eher nicht.
Dieser Graureiher im Berliner Tiergarten kommt klar mit dem Winter - die Stadt meist eher nicht.Christian Spicker/imago

Der Winter hat Berlin den Rücken gekehrt. Pünktlich zum zweiten Advent war es vorbei mit der weißen Herrlichkeit. Die Nachbarskinder haben ihre Schlitten traurig wieder in den Keller gebracht, aber die ältere Dame aus dem Haus schräg gegenüber traut sich endlich wieder auf die Straße. Sie hat nun keine Angst mehr davor, auf eisglatten Gehwegen die Balance zu verlieren. Und während ich am Adventssonntag in einer Regenpause bei milder Witterung kurz mit ihr schwatze, hören wir zwei Meisen in der Linde vor dem Haus leise zwitschern. Wie schön: Auf das Weihnachts-Tauwetter ist in Berlin in den meisten Jahren Verlass.   

Ich räume ein, ich hab's nicht so mit dem Winter. Meine Theorie dazu: Wer im Sommer auf die Welt kam, der hatte von Anfang an wärmende Sonnenstrahlen im Leben. Schnee und Eis verstören Sommerkinder eher, auch in ihren späteren Jahren. Daran glaube ich mehr, als an Horoskope oder anderen esoterischen Hokuspokus.  Beim Blick in meinen Freundeskreis bestätigt sich das auch häufig. Wer etwa im Januar das Licht der Welt erblickte, baut die schönsten Schneemänner und nimmt im Winterurlaub die gefährlichsten Pisten unter die Bretter. Unterdessen würden sich im Juni Geborene viel lieber in einen veritablen Winterschlaf verziehen.  

Schneeberge an den Straßenrändern und verschüttete Fahradwege

Aber als Berlinerin muss ich leider auch sagen, die Stadt macht es einem auch nicht sonderlich einfach, die Wochen zwischen Dezember und Februar zu mögen. Berlin kann einfach keinen Winter. Sobald eine Schneeflocke quer liegt, brechen chaotische Verhältnisse an. Die Gehwege sind glatt, Schneeberge türmen sich an den Straßenrändern, Fahrradwege wirken wie verschüttet. Auf die ersten Hiobsbotschaften aus den chirurgischen und orthopädischen Ambulanzen muss man dann nicht mehr lange warten.  

Wenig später, auch darauf kann man sich in Berlin verlassen, gibt es politischen Streit um die Verantwortung  von Berliner Stadtreinigung, Ordnungsämtern und Hausbesitzern. Wer räumt und fegt wo und warum gerade nicht. Ermahnungen und moralisierende Aufrufe folgen. 

Probleme, die in Berlin offenbar nicht lösbar sind

Erinnern Sie sich noch an den kalten und schneereichen Februar 2010? Die Stadt kapitulierte fast vor den Schneemassen. Dem damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wurde nahegelegt, doch das Technische Hilfswerk einzusetzen, um die Hauptstadt wenigstens einigermaßen passierbar zu machen. Wowereit antwortete etwas schnippisch: „Wir sind doch nicht in Haiti“. Er spielte damit auf die Lage in dem Inselstaat nach einem verheerenden Erdbeben und die dort eingesetzten internationalen Hilfsorganisationen an. Das legten ihm viele als Herzlosigkeit oder Zynismus aus. Ich glaube eher, Klaus Wowereit konnte ziemlich genau unterscheiden, welche Probleme in Berlin lösbar sind und welche nicht. Den Kampf gegen die Unbilden des Winterwetters zählte er wohl eindeutig zu den letzteren.   

Mehrere Regierungen später hat sich in Berlin nicht viel geändert. Fällt Schnee, wird es rutschig und es gibt eine Debatte über die Zuständigkeiten. Deshalb wünsche ich mir auch in diesem Winter wieder, dass das Weihnachts-Tauwetter auch jenseits der Festtage lange anhält.

Claudia Pietsch schreibt jede Woche im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten.
Kontakt zur Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com ■