Zwei Daten haben sich ganz tief ins Gedächtnis des Georgiers Lewan Kobiaschwili eingebrannt: der 15. Mai 2012 und der 26. März 2024. An jenen Tag im Mai vor nunmehr über zwölf Jahren erinnert sich der heute 46-Jährige nur äußerst ungern, weil er für ihn und die Mannschaft von Hertha BSC im Chaos samt Abstieg in die Zweite Bundesliga endete. Dazu später.

Viel lieber erzählt der ehemalige Bundesliga-Profi vom Abend des 26. März dieses Jahres. Als ihn der Reporter des Berliner KURIER am Telefon in Tiflis erreichte, ließ er das Ereignis, das ganz Georgien vor Monaten in einen Freudenrausch versetzte, noch einmal kurz Revue passieren. „An dem Tag“, so Kobi, wie er einst in Berlin gerufen wurde, „habe ich ein Gefühl gespürt, von dem ich vorher nicht gewusst habe, dass es überhaupt existiert. Das ganze Land war im Freudentaumel. Das war einmalig, einfach sensationell! Es war der Lohn für unsere harte Arbeit der letzten Jahre.“
Die Nationalmannschaft von Georgien hatte unter ihrem französischen Trainer Willy Sagnol im entscheidenden Play-off-Spiel um den Einzug in die Endrunde der EM den Favoriten Griechenland mit 4:2 nach Elfmeterschießen bezwungen. Als Mittelfeldmann Nika Kwekweskiri zum letzten Strafstoß antrat, den Ball flach in die linke Ecke des griechischen Tores schoss und verwandelte, gerieten die Fans im Stadion von Tiflis in Ekstase und überfluteten den Rasen. Georgien hatte sich zum ersten Mal für eine Endrunde einer Europameisterschaft qualifiziert.

Ein ehemaliger Herthaner und ein Ex-Freiburger reformierten Georgiens Fußball
An diesem Triumph besitzt Lewan Kobiaschwili großen Anteil. Denn der 100-malige Nationalspieler seines Heimatlandes hat als Präsident des georgischen Fußball-Verbandes zusammen mit seinem Freund und Vize Alexander Iaschwili – beide spielten einst gemeinsam beim SC Freiburg – den Fußball in Georgien reformiert und aus einem tiefen Tal herausgeführt.
Nur wenige Monate nach dem Ende seiner Karriere, das er als beliebter Profi im Mai 2014 bei Hertha BSC erlebte, widmete er sich der Herkulesaufgabe, den Fußball in seiner Heimat zu professionalisieren.
An dieser Stelle passt der kurze Rückblick auf den 15. Mai 2012. Mit Hertha BSC kämpfte der vielseitige Abwehrspieler in der Relegation gegen Fortuna Düsseldorf um den Verbleib in der Ersten Bundesliga. Nach einer 1:2-Niederlage in Berlin artete das Rückspiel in Düsseldorf, das 2:2 endete, in ein fürchterliches Chaos aus. Vorzeitiger Platzsturm der Fortuna-Fans mit zerstörtem Rasen, Unterbrechungen, Flucht in die Kabinen. Das Spiel hätte unbedingt abgebrochen werden müssen, was aber nicht geschah.

Im Dress von Hertha SC kassierte Kobiaschwili die längste Sperre, die je ein Profi in der Bundesliga bekam
Nach dem Abpfiff gab es in einem Tohuwabohu Rangeleien beim Abgang. Auch Kobiaschwili wurde auf einer Treppe gestoßen, muss dabei aber Referee Wolfgang Stark unsanft berührt haben. Der beschuldigte den Georgier, dass er ihn geschlagen habe. Das DFB-Sportgericht belegte Kobiaschwili mit einer Sperre vom 4. Juni bis 31. Dezember 2012 – die längste Sperre, die je ein Profi in der Bundesliga bekam. Georgiens „Fußballer des Jahres“ 2000 und 2005 aber galt als untadeliger Profi, der es beim SC Freiburg, bei Schalke 04 und bei Hertha BSC auf insgesamt 351 Bundesligaspiele gebracht hatte …
Zurück in die Gegenwart. Bereits im Oktober 2015, knapp eineinhalb Jahre nach seinem letzten Spiel als Profi – einem 0:4 der Hertha gegen Borussia Dortmund im Berliner Olympiastadion – wurde Kobiaschwili zum Präsidenten des georgischen Fußballverbandes gewählt. „Es gab riesige Probleme bei uns“, sagt Kobiaschwili, „das Schlimmste war, dass die Leute den Glauben verloren hatten, dass es besser werden kann. Ich wollte mich dieser großen Aufgabe stellen und Veränderungen voranbringen.“

Kobiaschwili legte den Grundstein des Erfolges und unter Trainer Willy Sagnol geht es aufwärts
Unter seiner Ägide wurden die Strukturen radikal verändert, die Erste Liga von 16 auf 10 Teams reduziert, um das Niveau zu erhöhen, Nachwuchsleistungszentren aufgebaut, auch der Amateurfußball umfassend unterstützt. 14 Stadien konnten auch mithilfe der Regierung renoviert werden. „Ich bin jetzt zum dritten Mal gewählt worden – nun bis 2027“, sagt Kobiaschwili und ist stolz auf das bislang Erreichte. Seit 2023 gehört er auch dem Exekutivkomitee der Uefa an. Seit seinem Amtsantritt Ende 2015 ist die Nationalmannschaft von Rang 110 in der Fifa-Rangliste auf Platz 75 nach vorn gekommen.
„Ein Höhepunkt war für uns Georgier die Ausrichtung der U21-Europameisterschaft 2023. Unsere Auswahl spielte oft vor 40.000 Leuten“, sagt Kobiaschwili, „das hat unserem Fußball sehr gutgetan.“
Nun also die Teilnahme der Nationalmannschaft am großen Championat in Deutschland. „Enormen Anteil am Erfolg hat unser Trainer Willy Sagnol“, lobt der Präsident. Der Franzose ist der vierte Nationaltrainer unter Kobiaschwili. Erst mit Sagnol kam Schritt für Schritt der ersehnte Erfolg. Bislang hieß es, nach der EM wird Sagnol trotz seiner tollen Arbeit seinen Job aufgeben. Kobiaschwili sagt, noch sei das letzte Wort nicht gesprochen.
Bei der EM spielt Georgien in der Gruppe F gegen Portugal, die Türkei und gegen Tschechien. Der Tross wohnt im Best Western Plus Parkhotel in Velbert in Nordrhein-Westfalen. „Dort haben wir sehr gute Bedingungen“, sagt Kobiaschwili. Und seine alte Liebe Hertha BSC? „Ich habe viel Stress, aber ich verfolge alles“, sagt der Präsident. Sicher wird Zeit sein für einen Abstecher nach Berlin. ■