Die Wahl zum „Tor des Monats“ in der ARD gehört seit 1971 zum deutschen Fußball wie die Stadionwurst samt Bier in der Halbzeitpause. Unlängst dachte ich, dass es schade ist, dass nicht auch die „Spektakulärste Abwehraktion des Monats“ zur Zuschauerwahl steht. Anlass meiner Überlegung war die sensationelle Rettungstat durch Toni Leistner, den Abwehrchef von Hertha BSC, beim 1:0-Sieg auf dem Betzenberg in Kaiserslautern.

Ich habe mir diese aufregende, ja unglaubliche Szene, ein Dutzend Mal auf YouTube angeschaut. Nach einem Freistoß des FCK kam der Finne Naatan Skytta frei an den Ball, überlupfte Berlins Keeper Tjark Ernst und hatte den Torschrei auf den Lippen.
Hertha BSC feiert fünf Spiele ohne Gegentor
Aber plötzlich kam Leistner angeflogen, verhinderte mit einer artistischen Aktion per Kopf einen Treffer und landete selbst mit hoher Geschwindigkeit im Tornetz. Für mich war das die bislang größte Tat des 1,90 m großen Innenverteidigers. Leistner, ein Kerl wie ein Baum, ist mit 35 Jahren der älteste Profi im Hertha-Kader. Er besitzt großen Anteil, dass die Mannschaft nach dem jüngsten 1:0 gegen Eintracht Braunschweig fünf Pflichtspiele in Serie ungeschlagen ist und – das ist der Clou – dabei fünfmal zu Null gespielt hat.

Zur Erinnerung: Fünf Pflichtspiele in Folge zu gewinnen, gelang einer Hertha-Mannschaft zuletzt vor 24 Jahren im Herbst 2001. Damals schlugen die Marcelinho, Alex Alves und Pal Dardai Werder Bremen (3:1), auswärts den 1. FC Nürnberg (3:1), danach im Uefa-Cup Viking Stavanger aus Norwegen (2:0) sowie Mönchengladbach (3:0) und den VfL Wolfsburg (2:0).
Hertha-Abwehrchef spielt trotz Blessuren und Turban weiter
Dardai, damals unter Trainer Jürgen Röber einer der Protagonisten, ernannte über zwanzig Jahre später – nun als Cheftrainer der Hertha - den erfahrenen Leistner zum Mannschaftskapitän. Das passierte im August 2023. „Er war als gestandener Profi mein sogenannter ‚Papa-Bär‘ in einem Team mit vielen jungen Spielern, die wegen sehr später Transfers und finanziellen Problemen des Klubs einen chaotischen Saisonauftakt erlebten“ erinnert sich Pal Dardai.
Leistner hat kürzlich in einem Interview in der „Märkischen Allgemeinen“ tiefe Einblicke in seine interessante Vita gegeben und gesagt, was einen Führungsspieler wie ihn ausmachen muss. „Du musst Leistung bringen. Wenn du vorangehst, wenn du dich zerreißt und auch mal über den Schmerz hinausgehst, dann hören andere Spieler automatisch mehr zu. Und ich bin da noch von der alten Schule: Schmerz macht mir nicht so viel aus.“ Das war zuletzt immer wieder eindrucksvoll zu beobachten, denn Leistner spielte oft mit heftigen Blessuren und einem Turban auf dem Kopf weiter – so wie einst Dieter Hoeneß.
Dardai setzt auf Erfahrung: Leistner als Papa-Bär
In der laufenden Spielzeit hat der rustikale Abwehrchef in allen 13 Duellen von Beginn an auf dem Platz gestanden und nur eine einzige Spielminute verpasst, als er beim 2:3 in Bochum in der 90. Minute ausgewechselt wurde. Leistner hat es auch durch seine Mentalität und Ausstrahlung gleich bei drei Vereinen zum Mannschaftskapitän gebracht. Außer bei Hertha, wo er aktuell Vizekapitän hinter Fabian Reese ist, war das bei den Queens Park Rangers in London der Fall (Championship/2. Liga) und beim belgischen Erstligisten VV St. Truiden. Leistner kennt seine Stärken, aber auch seine Defizite, vor allem die fehlende Schnelligkeit im höheren Fußballeralter. Ich habe lange überlegt, mit welchen einstigen Hertha-Profis man die Spielweise von Leistner vergleichen kann. Vielleicht mit Dick van Burik, Jolly Sverrisson oder Maik Franz? Alle Vergleiche hinken. Maik Franz, bekannt als „Iron Maik“, sagte mir: „Leistner ist ein ganz eigener Typ, der Kopf der Abwehr. Er besitzt einen Löwenanteil an der starken Defensive, an der aber alle Mannschaftsteile beteiligt sind.“


