Hertha-Kolumne

Hertha BSC braucht bald ein Fernglas für die Aufstiegsplätze

Noch nie war es leichter, wieder in die Bundesliga aufzusteigen wie in dieser Saison. Doch Hertha nutzt es nicht aus.

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Zu oft gab es nach dem Abpfiff Frust. Herthas Mittelfeldboss Diego Demme und Kampfmaschine Deyo Zeefuik nach der 1:2-Heimblamage gegen Münster.
Zu oft gab es nach dem Abpfiff Frust. Herthas Mittelfeldboss Diego Demme und Kampfmaschine Deyo Zeefuik nach der 1:2-Heimblamage gegen Münster.Imago Images/mix1

In einem Text, der zu Weihnachten erscheint, kann auch ein Fußball-Kolumnist in einem kurzen persönlichen Rückblick zugeben, dass er sich – trotz aller gebotenen Objektivität – über die Mannschaft, über die er seit Jahren regelmäßig schreibt, oft ärgert. Ich habe mich über schlappe Auftritte aufgeregt, auch über den für mich unsäglichen Videobeweis. Über tolle Auftritte habe ich mich natürlich gefreut. Die Crux bei Hertha BSC aber war, dass die enttäuschenden Spiele überwogen und das Ziel „sofortiger Wiederaufstieg“, das leider nicht offensiv kommuniziert worden ist, erst einmal in der Ferne verschwunden ist.

Man könnte den berühmten, alten Spruch von Bayern-Patron Uli Hoeneß („Wir müssen dafür sorgen, dass nächstes Jahr wieder das Wehklagen einsetzt, wenn die anderen uns in der Tabelle mit dem Fernglas anschauen.“) ein wenig verändern und sagen: Man benötigt bei Hertha auch bald ein Fernglas, um am Horizont noch die Aufstiegsplätze zu sehen.

Dabei war und ist es meiner Überzeugung nach noch immer leichter in dieser Spielzeit aufzusteigen, als etwa in der Vorsaison, denn in dieser total verrückten Zweiten Liga kann jeder jeden schlagen und der Sprung von einem Mittelfeldplatz nach ganz oben ist sogar mit zwei Siegen in Serie möglich. Die Voraussetzungen für Hertha waren gut.

Kein Tabakovic-Ersatz da

Im Sommer 2024 hatte Sportdirektor Benjamin Weber die meisten Zugänge im Gegensatz zur Vorsaison schon frühzeitig in Sack und Tüten, musste aber vor allem aus wirtschaftlichen Gründen Torjäger Haris Tabakovic und Abwehrchef Marc-Oliver Kempf verkaufen, was sich später sportlich als arge Verluste herausstellten. Ein gleichwertiger Ersatz für Tabakovic, den Torschützenkönig der zurückliegenden Zweitliga-Spielzeit, wurde nicht gefunden. 22 Treffer, wie sie der Schweiz-Bosnier erzielte, sind eine enorm hohe Messlatte.

Haris Tabakovic bei seinem letzten Spiel für Hertha BSC, dem 5:1-Pokalsieg  in Rostock. Nach 84 Minuten kam für ihn Luca Schuler aufs Feld. Doch der konnte ihn nie ersetzen.
Haris Tabakovic bei seinem letzten Spiel für Hertha BSC, dem 5:1-Pokalsieg in Rostock. Nach 84 Minuten kam für ihn Luca Schuler aufs Feld. Doch der konnte ihn nie ersetzen.Imago Images/Hübner

Dennoch war die Chance für diese talentierte, aber äußerst wankelmütige Mannschaft groß, immer wieder oben angreifen zu können. Denn: kein Spitzenteam spielte konstant, alle erlaubten sich regelmäßig unglaubliche Aussetzer, die Hertha aber nie ausnutzen konnte. Manch Experte stellte schon spöttisch die Frage, ob denn niemand aufsteigen und stattdessen lieber in dieser boomenden Liga bleiben wolle, die die Fans in Massen anzieht.

Duelle wie derzeit gegen Köln, Schalke oder den HSV halte auch ich wie viele Hertha-Fans für attraktiver als Spiele eine Etage höher wie Heidenheim contra Hoffenheim. Ich wünsche mir dennoch so bald wie möglich wieder den FC Bayern oder Bayer Leverkusen als regelmäßige Kontrahenten der Hertha im Olympiastadion.

Fiels Ballbesitz-Fußball gab es zu selten

In einigen Spielen hatte das Team vom neuen Trainer Cristian Fiel („Ich will immer den Ball haben“) dessen kühne Vision „Fußball a la Pep Guardiola“ eindrucksvoll umsetzen können. Sie zeigte den geforderten mutigen Ballbesitzfußball, aber eben viel zu selten und litt zudem an einer eklatanten Heimschwäche.

Hertha-Trainer Cristian Fiel an der Seitenlinie.
Hertha-Trainer Cristian Fiel an der Seitenlinie.Imago Images/Noah Wedel

Oberligist Lichtenberg 47, wo ich mir gern eine kleine Auszeit vom „großen“, millionenschweren Fußball gönnte, machte es der Hertha vor. Zugegeben, ein paar Spielklassen tiefer. Im Zoschke-Stadion gewannen die Lichtenberger sechs ihrer acht Heimspiele. Die Mannschaft des Trainer-Duos Rudy Raab und Nils Kohlschmidt beendete sogar ungeschlagen die Hinrunde (12 Siege, vier Remis). Die Tabellenspitze war der Lohn vor dem Emporkömmling BFC Preussen, der mit lukrativen Verträgen wedelte und so starke Spieler anlockte.

Ein Besuch im Zoschke, einer reinen Fußball-Arena, bedeutet auch ein wenig Romantik. Steile Stehplätze dicht hinter dem Tor nahe der Heim-Fans, Bratwurstduft in der Luft, ein gemeinsames Bier mit dem 47er-Präsidenten Michael Grunst, der früher der beliebte Bezirksbürgermeister von Lichtenberg war, Diskutieren im Vereinscasino bei „Alex und Andrea“. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich dort im Mai 2025 den Wiederaufstieg in die starke Regionalliga erlebe, ist um einiges größer, als eine Aufstiegsfeier mit der Hertha. Oder es passiert doch noch ein Fußball-Wunder bei den Blau-Weißen! Schön wäre es.